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Klappradfahrer, das unbekannte Wesen

Klapprad
Illustration: lady-kinkling

Nie zuvor machte ich mir Gedanken über das Wesen des Klappradfahrers. Bei allen anderen Fahrradtypen stellt sich diese Frage nicht, denn die Antworten erscheinen eindeutiger: Windschnittige Modelle ohne Schutzblech und mit breiten Reifen fahren Fahrradkuriere, gemütliche Citybikes mit Korb fahren Menschen wie mein früherer Geschichtslehrer, der zwar den Führerschein der Klasse III auch im dritten Anlauf nicht bestanden hat, aber dafür schon früh ein entschlossener Kämpfer für die Verbreitung von Fahrradhelmen war. Leider sah er mit seiner Eierschale auf dem Kopf so dümmlich aus, dass er entgegen aller Vernunft und Zunahme von überdimensionierten Geländewagen in Großstädten noch immer einer der Hauptgründe dafür ist, weshalb ich auf einen derartigen Kopfschutz verzichte. Gepimpte Cruiser fährt der Nachwuchs der Mitglieder von Motorradgangs, Liegefahrräder fahren Althippies, die sich einen lang gehegten Fortbewegungstraum erfüllen wollen und sich noch zu jung für einen Rollstuhl fühlen. Ein Fahrrad mit Hilfsmotor fährt meine Oma und Kardioräder fahren Fitnessfanatiker, die das Wort Trimm-dich-Fahrrad nie in den Mund nähmen, aber trotzdem nicht von der Stelle kommen.

Doch was für ein Typ Mensch ist der Klappradfahrer? Bis gestern noch habe ich gedacht, er sei ein schizophrener Spießer: Einerseits spart er sich den kleinsten Fußweg bis zur nächsten Regionalbahnhaltestelle und achtet vor dem Losfahren peinlich genau auf die Anbringung von Fahrradklammern, um seine C&A-Hose nicht in Mitleidenschaft zu ziehen. Andererseits schleppt er sich mit seinem Faltdrahtesel halb zu Tode und transpiriert dabei übermäßig in die von ihm ansonsten so behütete Polyacrylhose. Seit heute jedoch weiß ich es besser: Innerhalb von drei Minuten sind mir gleich zwei Menschen auf ihren viel zu zierlichen Velos begegnet. Diese übermäßige Konzentration, die selbst mich als aufmerksamen Beobachter des Zweiradwesens überraschte, nutze ich sogleich für eine kleine Sozialstudie zur Erforschung des unbekannten Wesens.

Der erste trug ein weißes Leinendress, auf dem Kopf eine wilde Lockenpracht und natürlich war er barfuß – ganz sicher war dieser junge Mann ein Resultat der freien Liebe, wie sie seit den späten sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts bevorzugt in Wohngemeinschaften, den sogenannten Kommunen, praktiziert wird, und vermutlich ein Abkömmling Rainer Langhans. Daß er mir mit seinem Vehikel fast über den Fuß fuhr, nahm ich ihm nicht übel; sein Schwanken war sicher nur Ausdruck einer Nebenwirkung der von ihm bereits mit der Muttermilch aufgenommenen bewusstseinserweiternden Substanzen.

Der zweite entsprach optisch dem Ebenbild Reinhold Messners. Sein Bruder konnte es nicht gewesen sein, denn dieser ist einst bei einem tragischen Unfall vom Berg gefallen – aber um einen nahen Verwandten handelte es sich mit Sicherheit. Er war eindeutig am messnerschen Rauschebart zu identifizieren, zudem bewältigte er mit seinem Faltrad die für Hamburger Verhältnisse ungewöhnlich starke Steigung von 3,5 % nahezu mühelos – und das ohne Zuhilfenahme von Nabenschaltung und Sauerstoffgerät.

So schwer es auch fällt, ich muss nach diesen Beobachtungen mein Urteil über den Klappradfahrer als solches revidieren. Der Klappradfahrer ist der Nonkonformist auf zwei Rädern. Er bringt ein Höchstmaß an Individualität auf die Straße. Er ist zwar nicht der Schnellste unter den Radfahrern, aber wie er so auf seinen kleinen Rädern dahingleitet, wohl doch der Lässigste. Berauscht von Muttermilch und Natur gleitet er – fast wie auf Schienen – allen anderen Fahrradfahrern davon. Mit Wohlwollen betrachte ich ab sofort den Eigensinn dieses besonderen Menschenschlages und wünsche ihnen immer eine gute Fahrt – oder, wie man in Fachkreisen sagt: Gut Klapp!

16 Antworten auf „Klappradfahrer, das unbekannte Wesen“

Mein erstes Fahrrad war ein Klapprad. Es war damals üblich solche zu ersten Kommunion zu verschenken. Und es war geil. Deine Beobachtung stimmt schon. Das Klapprad hat was von kindlicher Unbekümmertheit. Das Klapprad sagt: mein Herrchen ist noch nicht soweit.

Lehrer mit Fahrradhelm – hierzu empfehle ich die Milieustudie „Was nicht passt, wird passend gemacht“. Kommt zwar lange nicht an „Bang Boom Bang“ heran, ist aber in dieser Beziehung aufschlussreich.

In Sachen Klapprad muss ich allerdings widersprechen. Egal ob Nonkonformist oder Yuppie-Spießer, beim Klappradfahren sieht man scheiße aus (wie beim Liegeradfahren übrigens auch). Diese Kinderradanmutung – lässig ist was anderes.

Endlich mal ein bekennender Nichthelmträger. Ich bin auch der Meinung: Lieber stilvoll sterben als lebendig scheiße aussehen. Wobei Klappradfahrer ja ein erhöhtes Risiko haben – bei den ganzen Schrauben, Scharniere und Klappmechanismen. Leider geben sie viel zu selten den Geist auf.

Als gelegentlicher Fahrer eines liebevoll getunten Brompton (schließlich muss die Sitzposition trotz halbsogroßer Reifen die gleiche sein wie auf den anderen drei Rädern …) freue ich mich, aus berufenem Munde zum Nonkonformisten erklärt zu werden :-) Etwas Erbsenzählerei aber sei mir nachgesehen: *Klappräder* sind diese Monster mit Scharnier inne Mitte, die primär dazu gedacht waren, in Strichachter-Kofferräumen zu verrosten. Heutige Vertreter der Spezies nennt der Connaisseur *Falträder*.

Durch die mögliche Fahrradmitnahme im Kofferraum eines Autos vermittelt ja das Klapprad im Prinzip eine zusätzliche Beweglichkeit in der vorhandenen Mobiliät des Autos. Diese unschlagbaren Vorteile geben dem passionierten Klapprad-Fahrer ein Gefühl von Freiheit und Abenteuer.

Zitat: „Der Klappradfahrer ist der Nonkonformist auf zwei Rädern. Er bringt ein Höchstmaß an Individualität auf die Straße. Er ist zwar nicht der Schnellste unter den Radfahrern, aber wie er so auf seinen kleinen Rädern dahingleitet, wohl doch der Lässigste. Berauscht von Muttermilch und Natur gleitet er – fast wie auf Schienen – allen anderen Fahrradfahrern davon. Mit Wohlwollen betrachte ich ab sofort den Eigensinn dieses besonderen Menschenschlages und wünsche ihnen immer eine gute Fahrt – oder, wie man in Fachkreisen sagt: Gut Klapp!“

Dem kann ich nur zustimmen. Beweis: auch Rocko Schamoni fährt gelegentlich Klapprad :)

Klappräder, so etwas gibt es bei mir in der Kleinstadt gar nicht.
Es ist schon fast was besonderes, wenn man mal ein Liegerad (?) sieht, aber Klappräder habe ich bei mir wirklich noch nicht gesehen.
Wenn ich mal in die nebenanliegende Stadt Bremen fahre, dann sieht man diese Dinger ab und zu mal.
Aber für mich ist das nichts.

Ich widerspreche dem Taubenvergrämer nur ungern. Bisher sah ich dazu auch noch keinen Anlass. Diesmal ist das anders, und so erlauben Sie mir bitte meine ernsthaften fünf Minuten.
*Ernstmodus an*
„Endlich mal ein bekennender Nichthelmträger. Ich bin auch der Meinung: Lieber stilvoll sterben als lebendig scheiße aussehen.“ geht gar nicht! Ich sehe lieber lebendig scheiße aus. Gerade vor kurzem gab es hier einen Sturz mit Todesfolge, der mit Helm vielleicht nicht tödlich hätte enden müssen. Aber ich bin ja auch so spiessig, Sex mit Kondomen (uncool) einem Leben mit einer eventuell sogar tödlichen sexuell übertragbaren Krankheit (cool)vorzuziehen.
*Ernstmodus aus*

Ich glaube, ich mag gar keine Blogeinträge mehr kommentieren, in denen es um Radfahren geht – über kurz oder lang fängt garantiert eine Helmdiskussion an :-(

weltdeswissens: Man kann durchaus auch aus nicht-ästhetischen Gründen das Aufsetzen eines sog. Radhelms verweigern. Meine Position dazu steht oben in der Webadresse.

Hallo Chr,

ok, ich habe jetzt bei Ihnen quergelesen und werde michb über pro und contra Helm noch ausführlich informieren. Versprochen.

Nicht zurücknehmen werde ich meine Kritik am Ausspruch „Lieber stilvoll sterben als lebendig scheiße aussehen.“ Wenn scheiße aussehen das Leben schützen KANN, dann ziehe ich das dem sterben vor. Hypothetisch gesprochen. Das ist kein Pladoyer für weisse Tennissocken oder Schneckenfrisuren. Aber wenn sie vor Verletzungen schützen KÖNNTEN, wäre ich dafür. So sollen ja über die Hose hochgezogene Socken bei Wanderungen durch Feld und Flur den Zecken ihr Tun erschweren können.

Und nun lassen Sie sich bitte nicht vom Kommentieren abhalten, lieber Chr, und vom Radfahren auch nicht :)

Hallo weltdeswissens!

Respekt – ich war bislang der Meinung, dass das Diskutieren mit Radhelmbefürwortern in etwa den gleichen Nährwert habe wie der Versuch, einem Hallelujaplärrer in der Fußgängerzone die Reize des Atheismus nahbringen zu wollen :-) Und was die Bewertung des Scheißeaussehens betrifft, sind wir uns sowieso einig.

Keine Sorge, ich lasse mich durch nahezu nichts vom Radfahren abhalten – nicht mal durch eine hypothetische Helmpflicht, so lange die Ersparnisse die Strafmandate decken …

(Und ganz nebenbei wieder ein Hamburger (?) Blog kennen gelernt. Eins mit liebevoll getexteten Headlines obendrein.)

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