Gravitation

Cappuccino

Ich nehme etwas Milch und zwei Löfel Zucker und rühre in der
Tasse, die vor mir steht. Dann nehme ich die Tasse hoch, trinke
und setze sie wieder ab.

Rolf Dieter Brinkmann,  Kaffee trinken (1)

Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass alle Körper, wenn sie nicht daran gehindert werden, nach unten fallen, in Richtung Mittelpunkt der Erde. Es ist ein unabänderliches Naturgesetz, aber dennoch zuweilen lästig. Insbesondere wenn Dinge dabei Schaden nehmen. Wäre nun aber alles anders und befänden wir uns im Zustand der Schwerelosigkeit, der Körper immerzu schweben ließe, so brächte dies ganz andere Probleme mit sich.

Über diese Frage, die naturgemäß nur eine Ersatzfrage für die wirklichen Fragen sein kann, sinnierend im Kaffee rühren. Derweil von der Erkenntnis beschlichen werden, dass zwar tatsächlich alles anders sein könnte, es dann womöglich auf andere Art und Weise scheiße wäre. Dann den bereits erkalteten Kaffee mit großen Schlucken in sich hineinschütten usw.

Himmel

Himmel

Man darf sich von dem blauen Himmel mit seinen Wölkchen nicht täuschen lassen. Nicht dass man immerzu ganz tief in sämtliche Abgründe schauen müsste, aber wir haben immer noch Herbst.

Schalter

Lichtschalter

Obschon man sich der Konsequenzen nicht vollends bewusst ist, möchte man manchmal einfach den Schalter umgelegt wissen. Imponderabilitäten ist auch so ein Wort, das keiner kennt, das aber auch nicht in jedem Wortschatz zwingend vorhanden sein muss. Unwägbarkeiten klingt schließlich ausreichend beängstigend und beschreibt das Gemeinte exakt.

Während der Pessimist vehement die Ansicht vertritt, dass es nicht mehr schlimmer ginge, wird der Optimist nicht müde, ihm ein „Doch“ entgegenzuhauchen. Wenn das alles nicht mehr auszuhalten ist, haben wir zwei Möglichkeiten. Erstens: Wir warten darauf, was eintritt, wenn jemand den Schalter umlegt. Zweitens: Wir legen den Schalter selbsttätig um. Was dann passiert, passiert dann …

Fernsprechtischapparat

FeTAp 612-2 aus dem Jahre 1968

Während sie ihm immerzu Fragen stellte, fragte er sie nur selten etwas. Manchmal wollte sie wissen, was ihm an ihr gefalle, und er sagte dann „Mhh“, oder „Ach“, oder gar nichts. Nicht, dass er gar nichts an ihr mochte, er konnte es nur nicht in Worte fassen, wie so vieles andere auch.

Manchmal lag er auf ihrem Bett und beobachtete sie dabei, wie sie, nur mit einem Handtuch bekleidet, kerzengerade an ihrem Schreibtisch saß und telefonierte. Sie benutze dafür einen alten mausgrauen Fernsprechtischapparat, der viel älter war als sie beide. Konzentriert wählte sie in einem Zug die anzurufende Telefonnummer. Jahrzehnte hatte er das surrende Rücklaufgeräusch einer Wählscheibe nicht mehr vernommen. Obwohl es oft noch früh am Morgen war, nannte sie stets mit klarer Stimme ganz deutlich ihren Namen. Während er noch müde blinzelte, trug sie, den schweren Hörer in der Hand, mit niedlicher Geschäftigkeit ihre Anliegen vor. Das gefiel ihm. Unter anderem.