Kalter Hund

Kalter HundWenn alles schlecht ist, dann hilft im Sommer ein Eis und im Winter ein Kuchen; Kaffee natürlich immer. Heute: Kalter Hund. Ein Kuchen aus Keksen und Schokolade. Kindheitserinnerung könnte man meinen, doch bei mir zuzhause gab es niemals kalten Hund – und so einen wie in diesem Café an einer vielbefahrenen Straßenkreuzung im Prenzlauer Berg schon gar nicht: enthält Spuren von Alkohol. Liegt schwer im Magen, ist aber trotzdem sehr lecker. Ich überlege, ob ich selbst ein kalter Hund bin, aber man sagt gewöhnlich „harter Hund“. Das Fremdbild weicht vom Selbstbild ab. Ödon von Horváth schrieb: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“

Traurige Lieder

Nebenan sitzt eine Frau und singt traurige Lieder. Ich habe sie nur einmal gesehen. Sie sah gar nicht traurig aus und wirkte auch überhaupt nicht so – man sieht es den Menschen nicht an. Mehrfach am Tag greift sie zu ihrer Gitarre und singt dazu. Immer nur für ein paar Minuten, nicht leise. Ihre Texte kann ich nicht verstehen, doch die Melancholie ihrer Stimme dringt durch die Wände. Sie singt mit Inbrunst.

Kolik

Auch dieser Tag ist kein besonders guter und somit fügt er sich nahtlos in mein restliches Leben ein. In einer wichtigen Angelegenheit gescheitert zu sein, ist nicht sonderlich angenehm. Alles was bleibt, passt in eine kleine Plastiktasche. Den Tag rundet ein körperlicher Schmerz ab. Es beginnt meist ganz leicht mit einem Ziehen in der Nierengegend. Ich kenne das schon: Ein Nierenstein geht ab; Männer in meinem Alter haben das schon mal. Beim ersten Mal wundert man sich, dass ein Mensch solche Schmerzen haben kann. Mal dauert es ein paar Stunden, in ungünstigeren Fällen kann man sich ein paar Tage damit vergnügen. Eine Zertrümmerung lohne nicht, sagt der Urologe, es sei ja nur etwas Gries auf dem Ultraschallbild zu sehen. Man krümmt sich, streckt sich, trinkt Bier und hüpft; wohl wissend, dass es natürlich zu spät dafür ist, wenn man den Schmerz erst einmal zu spüren bekommen hat. Ich nehme Metamizol in Form von Tropfen ein; wohl wissend, dass eine Infusion jetzt das probatere Mittel wäre. Ich bin froh, dass mich in diesem Moment niemand sieht und denke, wenigstens spürst du jetzt, dass du noch lebst. Ich ahne, dass es davon kommt, in den letzten Tagen zu wenig Flüssigkeit zugeführt zu haben und erfreue mich ein wenig an der Erkenntnis, dass es gelegentlich viel unangenehmer sein kann, zu wenig zu trinken als zu viel.

M10

Die Heizung ist gebändigt und die Raumtemperatur ist mittlerweile konstant angenehm. Aber ich kann nicht immerzu nur im warmen Kämmerlein sitzen. Irgendwann muss man, also ich, auch mal raus: Arbeiten oder Kaffeetrinken – im Idealfall beides gleichzeitig. Der Schnee da draußen wird langsam zu Matsch, trotzdem ist es noch immer sehr kalt. Straßenabahn M10: Vormittags und Abends stehen die Menschen dicht gedrängt und riechen oft genau wie sie gestimmt sind: übel. Ein Paradies nur für Frotteure. Gäbe die BVG ihren Zügen Städtenamen wie die Lufthansa ihren Flugzeugen, könnten sie Sheffield oder Duisburg heißen. Wenigstens hier kann man beim rasanten Anfahren und Bremsen die Trägheit der Masse überlisten und wenigstens einmal im Leben standfest bleiben, denke ich, während ich im Augenwinkel eine gute Bekannte entdecke, die aber zwei Türen weiter steht, und auch deswegen für mich unerreichbar ist. An der Warschauer Straße bin ich froh, endlich aussteigen zu dürfen. Mein Bedürfnis nach menschlicher Nähe ist nur scheinbar für den Rest des Jahres gedeckt.