Ausgesetzt

Frei erfundene Geschichten zu zufällig gefundenen Fotografien sind ja auch so ein literarischer Gemeinplatz. Unzählige Schriftsteller haben sich daran versucht, aber niemand will das lesen.

Und doch juckt es in meinen Fingern, als ich die Fotografie von dem alten Paar und ihrem Hund entdecke. Leicht gebückt stehen sie nah beieinander, sie (mit Faltenrock) legt ihm (im Altemännerpullover) den Arm sanft um die Schulter, zu ihren Füßen ein treudoof blickender Golden Retriever. Alle lächeln, das Paar weil es fotografiert wird, der Golden Retriever, weil es sein natürlicher Gesichtsausdruck ist. Im Garten wächst gemeiner Rhabarber und stehen mehrere aus Holz geschnitzte Skulpturen.

Was mag ihre Geschichte wohl sein? Und vor allem – das Traurige daran ist die Metaebene – warum steht dieses gerahmte Bild so verloren in einem Hauseingang auf St. Pauli?

Ich weiß es nicht. Und werde es wohl auch nie erfahren.

Zwei Arten Hund

Struppi

Struppi

Flocki

Struppi

Flocki

Struppi

Für Mirjam und Lars.

„Es gibt nur zwei Arten von Hunden“, sagt er, so sie. „Die einen sind Struppis – und die anderen sind Flockis.“ Im Prinzip einleuchtend. Sind Struppis anhand von Äußerlichkeiten leicht auszumachen, so fällt die Bestimmung von Flockis ungleich schwerer. Nach dem Ausschlussprinzip sind alle Hunde, die keine Struppis sind, Flockis. Aber wie jede einfache Erklärung kann dieses Zwei-Hunde-Prinzip nicht die ganze Komplexität der Welt erfassen: Denn was für ein Hund ist eigentlich ein Schnuffi?

Hündin und Herr

Ich bin auf den Hund gekommen wie man sagt,
Der Hund bestimmt mein ganzes Leben
Seit diesem Tag.
Ich gehe vor die Hunde wenn,
Ich ihn nicht mehr hab.

(Tocotronic)

Abhängigkeiten ketten sie aneinander, sie sind wie ein altes Ehepaar. Vielleicht mochten sie einander früher einmal. Rudolf, der Herr, hat Blondi, seine Hündin, ab und zu getätschelt und regelmäßig gefüttert. Blondi bedachte Rudolf dafür mit einem freundlichen Blick. Irgendwann aber haben sie sich auseinander gelebt. Trotzdem gehen sie noch täglich miteinander vor die Tür, denn ohneeinander geht es auch nicht. Wenn Blondi nicht so recht will, wie er es gern hätte, schreit er sie an. Sogar Anzeichen von Tätlichkeiten kann man gelegentlich beobachten. Blondi erträgt all dies seit Jahren mit der allergrößten Gleichmut. Im Laufe der Zeit hat die Hündin es gelernt, sich an Rudolf zu rächen. Wo sie nur kann, trödelt sie, schnuppert hier und da an irgendwelchen Dingen, die sich am Wegesrand befinden, und bleibt immer häufiger unvermittelt stehen. Immerzu lässt sie Rudolf, der es nicht besser verdient hat, auflaufen. Blondi emanzipiert sich. Wüsste man es nicht besser, könnte man manchmal sogar meinen, dass Blondi Rudolfs nunmehr Herrin sei. Tagein, tagaus machen sie einander das Leben schwer, obwohl sie einander doch Zuneigung und Vertrauen entgegenbringen sollten. Die Hölle, das sind sie beide. Rudolf wird immer jähzorniger. Blondi bestünde die Prüfung zur Blindenhündin heute wohl nicht noch einmal.

Görlitzer Park

Görlitzer Park, Berlin

Wir treffen uns im hässlichsten Park der Stadt. Überall lungern Männer herum, die mir Drogen verkaufen wollen. „Für mich heute keine Drogen“, entgegne ich freundlich, aber bestimmt, wenngleich die Aussicht auf einen goldenen Schuss auch heute nicht die Schlechteste wäre. Mein Bargeldbestand reicht allerdings nur noch für ein paar Flaschen Bier aus dem Späti.

Wir sind verabredet am Betonbach. Ich habe dieses Wort nie zuvor gehört, weiß aber sofort, was gemeint ist. Nichts bringt die Trostlosigkeit dieser Anlage mehr zum Ausdruck als dieses Gewässer, das nicht fließt, sondern tatsächlich ein schmaler Betonsee ist.

Die Sonne will nicht untergehen und gleißt beharrlich vor sich hin. Wir trinken Bier und Cremant und Bier und ein vorbeilaufender Hund beißt ein wenig auf dem halbrohen Fleisch herum, das auf unserem ausgegangenen Einweggrill liegt. Neben uns sitzende Menschen führen angestrengt Genderdebatten, während ich mit dem Fräulein zu meiner Linken Backrezepte austausche.