Warenwelten #9: Schrotbrot

Manchmal braucht es nicht viel, um mich als Kunden ein bißchen glücklicher zu machen. Bei den regelmäßigen Einkäufen bei meinem neuen Lieblingsbäcker Hacker in der Stargarder Straße pflege ich wochentags eine kleine Auswahl an köstlichen Brötchen zu erwerben: „Einen Schusterjungen, ein Vollkorn, eine Schrippe – und ein Mohn“, bestelle ich voller Vorfreude auf die sich stets anschließende Frage „Brötchen oder Hörnchen?“ In einer Welt voller Shitstorms an allen Ecken und Enden sind es doch immer wieder die kleinen Dinge, an denen es sich zu erfreuen gilt – und sei es, nur an der immer wiederkehrenden Rückfrage der Bäckersfrau, die etwas Verlässlichkeit in die sich immer schneller zu drehen scheinende Welt bringt.

Heute beförderte mich eine Abweichung von meinem gewohnten Kaufverhalten in die Riege der Stammkundschaft: Ich bestellte statt des liebgewonnenen Brötchensortiments ein Schrotbrot – schließlich hat der Bäcker sonntags geschlossen und ich muss über das Wochenende mit Backwaren versorgt sein. Ob dieser ungewohnten Order fiel der Dame hinter der Theke die kleine Brötchentüte mit dem Aufdruck „Hacki unser Bäcker, bei dem schmeckt’s immer lecker“ aus der Hand und sprach verwundert: „Na, da staun ick aba …“ Wer um die Spröde der Berliner Bäckereifachverkäuferinnen weiß, der ahnt, dass diese Worte einem Ritterschlag gleichkommen.

Wochentags bevorzuge ich übrigens Mohnbrötchen.

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Oase

Es ist noch gar nicht lange her, da plagte uns die Kälte und monatelanger Schneefall. Und es war Winter. Ständiges Ausrutschen und damit verbundene Prellungen oder Knochenbrüche sind längst verheilt. Erst jetzt, da die Sonne einmal wieder zwei Tage am Stück hinter Schäfchenwolken hervorlugt, wird gerade uns Großstädtern bewusst, wie wichtig ein unerwartetes kühles Nass inmitten eines weitläufigen Trockengebietes ist.

Wer von Oasen nicht genug bekommen kann, dem sei diese wunderbare Gruppe auf Flickr empfohlen.

Tram

Neben dem Doppeldeckerbus (natürlich oben, ganz vorn sitzend) ist die Straßenbahn das mir liebste Transportmittel im öffentlichen Nahverkehr. In meiner Heimatstadt Hamburg wurde diese leider bereits 1977 eingestellt; mittlerweile denkt der Senat allerdings – trotz Finanzkrise – über die Wiedereinführung nach. Aber intensives Nachdenken schadet nicht – besonders in Krisenzeiten.

Wenn immer möglich, ziehe ich eine Fahrt mit der Tram der S- oder U-Bahn vor. So auch heute. Man sieht so viel mehr vom urbanen Leben. Allerdings musste ich bei meiner heutigen Fahrt unfreiwillig an den notleidenden Autobauer Opel denken. Vor etwa zwei Jahrzehnten warb dieser noch mit dem Spruch „Fährt wie auf Schienen.“ Ein falschparkendes Kraftfahrzeug beendete meine Straßenbahnfahrt jäh und zwang mich, meinen Weg zu Fuß fortzusetzen. Auch Opel hatte sich seine Fahrt auf Schienen sicher damals ganz anders vorgestellt.

Randale und Frisur

Symbolfoto (obige Fensterscheibe wurde bereits am 1. Mai entglast)

Donnerstag, 27. Mai, 23.20 Uhr, Prenzlauer Berg: Zur besten Seichttalkshowzeit herrscht plötzlicher Aufruhr auf der Straße. Eine Meute von etwa 100 schwarzgekleideten Vermummten rennt die Straße entlang und schreit unverständliche Parolen. Ein paar herumstehende Bauzäune werden umgeworfen, in der Ferne eine Fensterscheibe eingeschlagen und etwa ein Meter vor unserem Fenster explodiert ein Feuerwerkskörper.

Genau so schnell wie die Meute erschien, ist sie auch wieder verschwunden. Irgendwo auf Twitter ist von einem antifaschistischen Flashmob die Rede, die Pressemeldung der Polzei spricht am Tag darauf von einer „unfriedlichen Aktion“. Nachbarn recken ihre Hälse aus den Fenstern und schütteln ihre Köpfe. Niemand hat so recht verstanden, was gerade passiert ist, und ein gassigehendes Herrchen hat Mühe, seinen verstörten Hund zu beruhigen. „Habt ihr gerade kapiert, was hier gerade passiert ist?“ „Nee.“ „Na dann, gute Nacht.“

Freitag, 28. Mai, nachmittags: Ich gehe an einem Friseurgeschäft vorbei. Es ist mal wieder Zeit, in ein solches hineinzugehen. Erst wenige Tage zuvor hat mich ein selbst stets zauselig wirkender Freund darauf hingewiesen. Seitdem habe ich bei jedem Friseur, den ich passiere, Angst, plötzlich von einer Hand hineingezogen zu werden. Heute Nacht habe ich von Rundumkennleuchten und Folgetonhorn geträumt. Diese erschienen mir nicht im Zusammenhang mit der zuvor stattgefundenen Randale vor meiner Tür, sondern waren eine Art Blaulichttransport zum Friseur.

Die Not ist groß, der „Bad Hair Day“ droht immer mehr zum Dauerzustand zu werden. Eigentlich hatte ich vor, in meiner Heimatstadt Hamburg den Barbier meines Vertrauens aufzusuchen, gebe mir aber einen Ruck. Und dies obwohl der Name „Hairworkshop“ nicht gerade nach „Was Friseure können, können nur Friseure“ klingt. Immerhin heißt er nicht „Haarmäleon“, „Fairschnitt“ oder „Haarlem“.

Der Grund, weshalb ich einen nötigen Friseurbesuch stets so lange wie möglich aufschiebe, ist die unvermeidbare Konversation mit der Dienstleisterin, während diese mir die Kopfhaut massiert sowie anschließend mein Haupthaar – möglichst behutsam – kürzt und ausdünnt. Mit Taxifahrern kann man sich wenigstens noch über das Nachtleben in der Großstadt oder die im schlechter und teurer werdenden Daimler-Benz-Vertragswerkstätten unterhalten. Das ist nicht weiter schlimm – zumal man meistens ohnehin etwas redeflussfördernd alkoholisiert auf dem Beifahrersitz platzgenommen hat. Wenn beim Friseurbesuch die Themen „Wetter“ und „Urlaub“ durch sind, geht es dann stets um unerfreuliche Dinge wie „Politik“, „Religion“, „das Abschneiden der Deutschen Nationalmannschaft bei einem der ständig stattfinden Fußballgroßereignisse“ sowie „beginnende Glatzenbildung“. Sind all diese Themen ausreichend abgehandelt, wird man zu guter Letzt auch noch zu seinem Beruf ausgequetscht. Beim nächsten Mal sage ich dann einfach: „Ich spiel im Puff Klavier.“ „So, das ist jetzt kurz genug.“