Museum der Dinge

Eine Auswahl der Dinge.
Eine Auswahl der Dinge.

Vier Euro Eintritt zahlen, um Kram zu sehen, den man schon einmal irgendwo gesehen – zu einem großen Teil sogar selbst besessen und längst entsorgt – hat? Ja, unbedingt.

Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge zeigt Sachkultur, die von der Massenproduktion des 20. und 21. Jahrhunderts geprägt ist. Seit den 70er Jahren werden hier „designhistorisch bedeutsame Gegenstände zur Dokumentation des von der Warenkultur geprägten Alltags“ gesammelt. Hier finden sich Mundharmonikas, die einen Goldfisch darstellen, genau so selbstverständlich wie historische Apple-Computer, aber auch Blechgeschirr und Stilikonen des Radiodesigns aus dem Hause Braun sowie ein Hochfrequenz-Strahlapparat.

Neben den wunderbar skurrilen Zerstörungsmaschinen, mit Hilfe derer man mitgebrachte Gegenstände auf Knopfdruck vernichten kann, ist vor allem auch die Sonderausstellung „Böse Dinge – eine Enzyklopädie des Ungeschmacks“ (noch bis zum 11. Januar 2010) beachtenswert. Gezeigt werden Geschmacksverirrungen aus den Kategorien „Materialfehler“, „Konstruktionsfehler“, „Dekorfehler“ und „Kitsch“ der letzten hundert Jahre: vom aufblasbaren Munch-Schrei über eine Regentonne aus Hinkelsteinimitat bis hin zum Handyhalter in Skelettform findet sich hier alles, wovon der leidenschaftliche Produktdesigner Albträume bekommt.

Wer sich in Kreuzberg aufhält und designinteressiert ist, sollte sich diesen Gegenentwurf zum Manufactum-Katalog nicht entgehen lassen: Es is toll, toll, toll. Wer gar ein böses Ding mitbringt und es dem Museum überlässt, dem wird freier Eintritt gewährt.

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Werkbundarchiv – Museum der Dinge
Oranienstraße 25
10099 Berlin
Homepage: museumderdinge.de

Artikel aus dem Tagesspiegel vom 20.07.2009: „Kitsch von gestern und heute“

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Hochmotorisiertes Friedenau

Komm’ mit nach Friedenau, da ist der Himmel blau,
da tanzt der Ziegenbock mit seiner Frau Galopp,
da lacht der lieben Kuh der Ochs’ so freundlich zu.
Komm’ mit nach Friedenau, da ist der Himmel blau.

(„Friedenauer Nationalhymne“, Verfasser unbekannt)

Kurt Tucholsky lebte in diesem Stadtteil und auch die Kommune 1 war hier ansässig. Geht man allerdings heute durch Friedenau, so liegt der Duft der gutbürgerlichen Küche in der Berliner Luft, Luft, Luft – und nicht selten sieht man adrett frisierte Pudel, die offenbar denselben Friseur besuchen wie ihr Frauchen. Als die Brüder Grimm die Adjektive „gediegen“ und „beschaulich“ in ihr Wörterbuch einfügten, hatten sie vermutlich genau dieses Friedenau vor Augen. Gilt für die Bundeshauptstadt im Ganzen „arm, aber sexy“, so gilt für dieses Viertel „verschlafen, aber sympathisch“.

Doch der Schein trügt. Die wahre Leidenschaft der Bewohner Friedenaus liegt im Verborgenen: vor nahezu jedem der eleganten Stadthäuser steht so ein Ding unter einer Plane.

Warenwelten #8: Einkaufserlebnis

Das ist zwar nicht Neukölln, hier entsteht aber demnächst ein Supermarkt.
Das ist zwar nicht Neukölln, hier entsteht aber demnächst ein Supermarkt.

Berlin ist so etwas wie Amerika im Kleinen – die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. Hier zählt sogar der dosenbierkaufende Kunde noch als Individuum und wird nicht, gleich einem Schlachtvieh, durch die engen Gänge des Supermarktes getrieben. Selbst in Neukölln ist das so. Kaufland, das klingt nach großer weiter Welt – dabei handelt es sich lediglich um einen Lebensmittelmarkt mit angeschlossener Hartwarenabteilung im fensterlosen Unterschoss eines unwirtlichen Einkaufszentrums. Natürlich haben auch hier die Kassiererinnen den antrainierten Röntgenblick, mit dem sie Kunden und Einkaufswagen beim Kassiervorgang nach Diebesgut absuchen. Ich nehme das allerdings nicht persönlich, sie müssen das tun. Und trotzdem könnte man fast den Eindruck haben, die Kassiererinnen hätten Freude an ihrer Tätigkeit, obwohl jeder weiß, dass das nicht sein kann. Die perfekte Illusion im Einkaufswunderland.

Zum Abschluss des Warenerwerbs folgt eine Überraschung. Ich werde während des Bezahlvorganges nicht um die Vorlage einer datenklaubenden Kundenkarte gebeten, sondern freundlich und routiniert gefragt: „Haben sie alles gefunden? Hat ihnen der Einkauf gefallen?“ So etwas kannte ich noch nicht, daher musste ich mich kurz sammeln: „Der Einkauf war ein Erlebnis“, erwiderte ich. „Ich bin sehr zufrieden und komme gern wieder. Falls es ihnen hier einmal zu langweilg werden sollte, so werde ich bei der Fluglinie meines Vertrauens gern ein gutes Wort für sie einlegen. Sie würden sich beim Sicherheitsballett auch ganz ausgezeichnet machen und könnten so nebenbei noch etwas von der großen weiten Welt sehen. Das hätten sie sich verdient. Vielen Dank, Frau Müller, es war mir ein Vergnügen, bei ihnen einkaufen zu dürfen – und bis zu meinem nächsten Einkauf.“

(alle Namen geändert)

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Weitere Beiträge aus der Rubrik “Warenwelten”.

Hamburger Realitäten

Irgendwo im Nirgendwo (Hamburg-Finkenwerder)

In Österreich gibt es den Beruf des Realitätenvermittlers. Man geht in seine Sprechstunde und möglichst schonend vermittelt er einem die Realität. Das ist zu schön, um wahr zu sein. Tatsächlich verkauft er einem nur marode Immobilien zu überhöhten Preisen. Die Ernüchterung bei einem genaueren Blick hinter die Fassade ist bei den von ihm vermittelten Immobilien oft genauso groß wie bei der Erkenntnis, dass es sich bei dieser wohlklingenden Berufsbezeichnung um nichts weiter als einen Haus- und Grundstücksmakler handelt.

Bei ganz genauer Betrachtung erkennt man, dass die Realität ein Auge hat. Dort kann man hineinschauen. Dann sieht man Dinge, die man eigentlich gar nicht sehen wollte: z. B. dass der geliebte Mac auch nur ein Computer ist, dass der geliebte Mensch auch nur eine Frau ist, dass der teure Wodka mit dem Grashalm auch nur ein Kartoffelschnaps ist – oder dass das geliebte Hamburg auch nur eine Stadt ist.

Fast mein halbes Leben habe ich nun hier verbracht. Hamburg ist auf den ersten Blick schön: Alster, Elbe, Hafen, Michel, Fernsehturm, Schanze, St. Pauli und noch viel mehr. Nur was soll ich da? Einmal genauer hinsehen, der Realität in ihr matschiges Auge.

Wenn der Tourist von der Alster spricht, dann meint er nicht den Fluss, sondern den aufgestauten See mit kleinen Segelbooten und Schwänen sowie rundherum prachtvolle Villen. Doch der Eindruck trügt. Im Grunde genommen, teilt die Alster die Stadt fast unüberwindbar in zwei Teile. Will man vom Westen in den Osten, so muss man sie mühsam umfahren. Das richtige Leben spielt auf der Westseite; will man ans andere Ufer, muss man Strecken zurücklegen, die einen, obwohl man sich in einer Kleinstadt befindet, an Berlin erinnern lassen. Wenn es heiß ist, dann beginnt das kaum in Bewegung befindliche Wasser in den Seitenarmen der Alster unangenehm zu stinken.

Die Elbe ist schon etwas besser, immerhin führt sie heraus aus Hamburg in die große weite Welt. Spricht der Zugereiste vom „an der Elbe treffen“, so meint er jedoch meist die Strandperle. Die Strandperle ist nichts weiter als ein heruntergekommener Kiosk in der Nähe des  Museumshafens Oevelgönne. Will man hier ein Bier erwerben, ist dies meist nicht nur lauwarm, sondern man muss auch, nachdem man nach Überwindung der langen Warteschlange schon fast dehydriert ist, so viel bezahlen wie woanders für eine ganze Brauerei. Dicht an dicht sitzen an sonnigen Tagen die Elbbesucher rund um die Strandperle herum und zwischen sich vergraben sie ihre noch glühende Grillkohle. Stets läuft man Gefahr, sich die Füße zu verbrennen. Will man die Gegend um die Strandperle herum sicher passieren, so empfiehlt es sich, auf die Menschen zu treten. Sie haben es nicht besser verdient.

Der Hafen, das Tor zur Welt. Industrieromantik bis zum Umfallen, jedenfalls vor der Wirtschaftskrise. Heute findet Handel kaum noch statt. Container samt -schiffe rosten unbenutzt vor sich hin, weil keiner mehr giftige Spielwaren oder leicht entflammbare Textilien aus China importieren will und sich niemand mehr auf der Welt Meisterwerke deutscher Ingenieurskunst leisten kann. Der Hafen dient nur noch als Kulisse für -rundfahrten. Eine Freundin aus dem Schwäbischen bezeichnete ihn ganz treffend als „große Baustelle auf dem Wasser“. Damals wurde zwar noch gebaut, aber ich schüttelte über diese Kategorisierung den Kopf. Heute weiß ich, dass sie Recht hatte.

Michel, Michel, wenn ich das schon höre. Busweise werden Touristen hierher gekarrt, um aus dem Fenster ihres Doppeldeckers einen Blick auf die Hauptkirche St. Michaelis zu erhaschen. Aber was gibt es schon zu sehen; ist das Gebäude doch zumeist mit Baugerüsten umhüllt, auf denen bevorzugt Betreiber von Atomkraftwerken für die Bewahrung der Schöpfung werben. Zwar kann man mit einem Personenaufzug den Turm erklimmen, allerdings ist es oben so vergittert, dass man keine Möglichkeit hat, sich auch herunterzustürzen. Bei Feierlichkeiten anlässlich von Staatsbegräbnissen allerdings macht die Kirche eine mehr als ordentliche Figur.

Telemichel, Telemichel, wenn ich das schon höre. Korrekt heißt der Hamburger Fernsehturm „Heinrich-Hertz-Turm“. Früher gab es dort oben ein Café, in dem man kännchenweise Kaffee trinken und dazu aufgeschäumte Tortenstücke bestellen konnte, während man dabei auf einer Plattform sitzend im Kreis gedreht wurde. Hier oben hatte man einen guten Ausblick auf die Stadt, aber das alles ist Geschichte. Der Turm ist längst nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich und wird es wahrscheinlich auch nie wieder werden. Im Prinzip könnte man ihn auch abreißen, vermutlich rottet er aber von innen vor sich hin und wird irgendwann von ganz allein umfallen.

Die Schanze war mal so etwas wie ein alternativer Stadtteil. Heute ist sie selbstverständlich in jedem Touristenführer zu finden. Während man auf dem verbreiterten Bürgersteig portugiesischen Milchkaffee aus Gläsern trinkt (auch bekannt als Galão-Strich, offene Koffeinszene), genießt man den Blick auf das besetzte Kulturzentrum gegenüber. Dessen Besetzer zünden einmal im Jahr ein Sofa an und stellen es auf die Straße. Dann kommen mindestens vier Wasserwerfer, löschen den Brand und werden dafür mit Steinen beworfen; unter Zuhilfenahme der übriggebliebenen Steine werden die umliegenden Bankfilialen und Ladenketten entglast. Während alteingesessene Ladeninhaber die Mieten im Viertel nicht mehr bezahlen können, haben sich hier bereits ein Adidas-Laden und McDonald‘s erfolgreich niedergelassen. Bald kommen H&M und Starbucks. Der Stadtteil ist zu einem einzigen Konjunkturprogramm für das Glaserhandwerk und Gentrifizierungsforscher verkommen.

St. Pauli lebt von seinem längst verblasstem Mythos, eine sündige Meile zu sein. Seefahrer haben hier einst ihre Heuer versoffen und sich mit leichten Damen amüsiert. Im Zeitalter der Containerschiffe sind die Liegezeiten im Hafen allerdings so kurz geworden, dass die Seeleute keine Zeit mehr für einen St.-Pauli-Aufenthalt hatten. Mit Blick auf den eingebrochenen Welthandel hätten sie diese zwar wieder, aber wohl kein Geld mehr für millieutypische Vergnügungen. Heute darf man hier nicht einmal mehr Waffen und Glasflaschen bei sich tragen und an der Stelle, wo einst Astra gebraut wurde, findet sich ein zwanzigstöckiges Designhotel. Darüber hinaus wird man in weiten Teilen St. Paulis auf Schritt und Tritt von Videokameras überwacht, die sich bei Gewalttaten schon mehrfach mutig zwischen Angreifer und Opfer geworfen haben sollen. Wer kein Geld für einen Mallorcaflug hat, kann sich hier abends  Wochenende einer gepflegte Ballermannatmosphäre hingeben und tut dies auch.

Und sonst so? Clubsterben, Richter-Schill-Wähler und eine grüne Partei, die vor der Wahl Kohlekraftwerke bekämpft, um sie nach der Wahl zu genehmigen, sowie keine einzige lesbare Tageszeitung. Das einzige, was für die Stadt spricht, ist das wunderbar schlechte Wetter, aber auch das enttäuscht in diesen Tagen.

Ist das noch mein Hamburg, wie ich es lieben gelernt habe? In Hamburg hält mich im Moment nichts – aber nach Berlin zieht mich auch nichts.

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siehe auch: „Hamburg keine Perle“ von Tom Hillenbrand