Landleben

Kühe auf der Alm. Hochfelln, Chiemgauer Alpen

Was ist demnach das beste Rezept für ein Erdenleben
überhaupt, oben wie unten?: ‚Aufs Dorf ziehen. Doof sein. Rammeln. Maul halten.
Kirche gehen. Wenn n großer Mann in der Nähe auftaucht, in n Stall verschwinden:
dahin kommt er kaum nach!

(Arno Schmidt)

Wenn sie jung sind, dann wollen sie möglichst schnell weg aus den Dörfern, Klein- und Vorstädten, in denen sie aufgewachsen sind. Sie wollen nach Berlin oder Hamburg, von mir aus aus nach München oder Köln, um ihre Pläne zu verwirklichen. Obwohl die allermeisten Stadtbewohner von irgendwo her gekommen sind, blicken sie bereits nach kürzester Zeit ganz selbstverständlich mit einer gewissen Arroganz der Großstadt auf das Leben in der Provinz. Im Urbanen haben sie so sie so viele Möglichkeiten, die das Land nicht bietet: Sie können Theater, Museen und Konzerte besuchen, was sie jedoch nur sehr selten tun. Ich auch.

Ich fahre nicht sonderlich gern in den Urlaub. Aus Gründen hat mich im vergangenen Jahr meine weiteste Reise ausgerechnet nach Bayern gebracht. Vom Freistaat kennt man als Nordlicht normalerweise gerade einmal München (Oktoberfest) und vielleicht noch Nürnberg (Christkindlmarkt) – nun aber bin ich in der allertiefsten oberbayerischen Provinz gelandet. Zu meiner Überraschung empfinde ich es viel weniger schlimm als gedacht, obwohl sogar die jüngeren Menschen hier so Bayerisch sprechen, dass sie kaum zu verstehen sind. Zunächst dachte ich, sie könnten sich ruhig etwas bemühen, wenigstens mit mir ein bißchen hochdeutscher zu sprechen, aber sie tun es einfach nicht. Vielleicht wollen sie nicht, vielleicht können sie auch ganz einfach nicht. Obwohl es mich einige Anstrengung kostet, gewöhne ich mich nach ein paar Tagen daran, und finde Gefallen an der Übung der Aussprache des Wortes „Oachkatzlschwoaf“, was meine Begleitung zunehmend nervt, deren Mutter aber irgendwie zu amüsieren scheint. Letztere kocht mir zur Belohnung für meine Bemühungen um die bayerische Sprache den allerbesten Schweinsbraten mit Knödel, den ich je gegessen habe. Von der Kruste träume ich heute noch.

Möglicherweise ist es mein verklärter Blick des Besuchers oder das gute Weißbier aus der kleinen Lokalbrauerei, das wir täglich aus historischen dickwändigen Gläsern trinken: Die Menschen hier machen einen zufriedenen Eindruck. Die Söhne der Familie sind in der freiwilligen Feuerwehr aktiv und pumpen in der Nachbarschaft überflutete Keller ab, man hat hinter dem Haus eine eigene Fischzucht (vom Großvater geerbt), gewinnt seinen Strom aus der Kraft des Wassers des am Haus vorbeifließenden Baches und man ist gegen die Verschandelung des schönen Isentals durch den Bau der Autobahn A94. Zum ersten Mal beginne ich zu spüren, dass das Konservative durchaus auch sympathische Züge haben kann.

Wir besuchen ein Dorffest, für das wir zunächst 20 km übers Land fahren müssen: Die meisten Besucher kennen einander hier von klein auf an, zuweilen trägt man Lederhosen und Dirndl, Jung und Alt sitzen im Bierzelt bei Blasmusik zusammen, der Kellner stellt einem unaufgefordert eine neue Maß hin und die Brezen sind riesig. Insgeheim hoffe ich auf eine bierselige Keilerei mit zünftigen Watschen um die Gunst der Schönsten des Dorfes, aber die Jüngeren stehen entspannt am Autoscooter, während die Verliebten ihrer Holden an der Schießbude Blumen und kleine Stofftiere ergattern.

Alles scheint einfacher zu sein als in der Stadt, mag man denken, was sicher nicht richtig ist, aber in diesem Moment so wirkt: man heiratet, bekommt Kinder und zieht in ein Haus mit Garten. Die Menschen, die hier leben, sind alle angekommen, obwohl die meisten von ihnen niemals weg waren. Alle sind irgendwie geerdet, alles geht seinen geregelten Gang – und plötzlich frage ich mich, ob ein Leben auf dem Lande möglich ist. Immerhin gibt es dort mittlerweile nahezu flächendeckend schnelle Breitbandverbindungen ins Internet.

Zurück in der Großstadt verwerfe ich diesen Gedanken schnell wieder. Schließlich hat auch meine Begleitung gute Gründe, warum sie der vermeintlichen Landidylle den Rücken kehrte. Das beste Rezept für mein Erdenleben ist es wohl eher nicht, aufs Dorf zu ziehen, auch wenn Arno Schmidt dies einst behauptete. Aber der war ja irgendwie auch verrückt. (Trotzdem wäre ich gern noch einmal nach Bayern gefahren – für ein paar Tage.)

Wurstbrief zum Valentinstag

Kürzlich bat mich ein Freund, während seiner urlaubsbedingten Abwesenheit alle drei bis vier Tage seine Blumen zu gießen. Eigentlich habe ich es nicht so sehr mit der Botanik. Im Prinzip bin ich für eine derartig vertrauensvolle Aufgabe ein denkbar ungeeigneter Kandidat. So warnte ich meinen Freund, dass nach unzähligen gescheiterten Begrünungsversuchen in meinem Haushalt lediglich sehr selten zu bewässernde Hydrokulturen eine Heimat fänden, da mein Umgang mit pflegebedürftigeren Pflanzengattungen auf ganzer Linie gescheitert sei. Nachdem die Wasserstandsanzeige meiner in Blähton gebetteten Zierpflanzen das Zeitliche segnete, hatten auch diese keine Daseinsgrundlage mehr. Der kleine rote Wasserstandsindikator rührte sich nicht mehr, was das Todesurteil für die gummibaumartigen Gewächse bedeute, während auch auf der Küchenfensterbank die Kakteen bis zu ihrem traurigen Ende vor sich hin dörrten.

Nun ist es bekanntlich so, dass sich an einem jeden 14. des Monats Februar der sogenannte Valentinstag jährt. Diese Tradition wird auf die Sage des Bischofs Valentin von Terni zurückgeführt, der einige Verliebte, darunter auch Soldaten, die nach kaiserlichem Befehl unverheiratet bleiben sollten, heimlich christlich getraut und ihnen zu diesem Anlass Blumen aus seinem Garten geschenkt haben soll. Valentin von Terni lebte im dritten Jahrhundert nach Christus und konnte nicht ahnen, dass ihm einige hundert Jahre später die Ehre zuteil werden würde, posthum mit dem großen Marketingorden am Band des Deutschen Floristen- und Raumbegrünungs-Hauptverbandes ausgezeichnet zu werden. Noch heute denken zahlreiche einander zugeneigte Menschen seiner und beglücken sich am Valentinstag gegenseitig mit den üppigsten Blumenpräsenten, dabei stets beteuernd, dass dieser Tag nicht, wie so viele Unwissende glauben, eine Erfindung der Floristenindustrie sei, sondern auf eine lange Tradition zurückgehe.