Die Kunst der Fuge

Einfache Fugen, Gegenfugen, Fugen mit zwei und drei Themen, Spiegelfugen, vier Kanons, anschließende Quadrupelfuge: Johann Sebastian Bach hat sein Werk Die Kunst der Fuge (BWV 1080) nie vollendet, dadurch aber wiederum Generationen von Musikwissenschaftlern Arbeit verschafft.

Bei weit über 30 Grad im Schatten überquere ich die Brücke in der Pappelallee und trete mit dem rechten Fuß in etwas Weiches. Hocherfreut bin ich, als ich erkenne, dass es sich in diesem Falle nicht, wie sonst in Berlin üblich, um die Endprodukte der Verdauung eines Hundes handelt, sondern um eine physikalische Notwendigkeit. Die zuständigen Bauarbeiter nämlich haben die erforderliche Dehnungsfuge zum Glück sehr wohl vollendet. Nicht auszudenken, hätten sie sich an JSB orientiert: Vermutlich wäre das Bauteil längst in Folge einer Wärmedehnung zerborsten.

Verständlich, dass ich seitdem gern ein Thema in d-moll ungewöhnlich fröhlich vor mich hin pfeife, wenn ich eben jene Brücke sicher überquere. Auf Hundescheiße muss ich natürlich trotzdem achtgeben, die lauert überall.

Warenwelten #6: Mein Freund, der Hund


Kapuzenmann vor Bekleidungsgeschäft, Hamburg-Sternschanze

Dauerwellen, Leggings, Schulterpolster und Lederkrawatten – alle sind zu recht in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ausgestorben. Dergleichen hätte ich mir auch für übersättigte Farbtöne in pink, violett und türkis gewünscht.

Seitdem eine gewisse amerikanische Bekleidungskette auch hierzulande Fuß gefasst hat, sind auch die Kolorationen meiner Achtziger-Jahre-Alpträume zurück in das Leben gekehrt. Stets, wenn ich an einem dieser Geschäfte vorbeiziehe, wird mir bewusst, dass die von dem Unternehmen gelebten Tugenden Umweltbewusstsein und Sozialverträglichkeit zwar ganz schön, aber eben auch nicht alles sind. Vielmehr irritiert mich regelmäßig, dass die EU-Bürokratie dieses Unternehmen noch nicht zur Anbringung von Schildern, die vor Augenkrebs warnen, verpflichtet hat.

Erst heute dachte ich wieder daran, wie schön es wäre, ein Hund zu sein, war ich doch bis eben dem Trugschluss aufgesessen, dass dieser Säugetierart ausschließlich schwarzweiß zu sehen vermag. Als Hund könnte man einen Besuch bei American Apparel schadlos überstehen. Ein Trugschluss, wie mich soeben ein Blick in eine bekannte Onlineenzyklopädie lehrte: Das Raubtier aus der Überfamilie der Hundeartigen vermag – eine ausreichende Beleuchtung vorausgesetzt – nämlich sehr wohl Farben zu sehen. Das ist zwar in den meisten Fällen gut für das Tier, nicht jedoch, falls Herrchen oder Frauchen eine Vorliebe für vorerwähnte Bekleidungskette pflegen. Lediglich über eine Rot-Grün-Sehschwäche verfügt der Vierbeiner, was ihn vermutlich nicht vollständig vor American Apparel zu schützen vermag.

Ich bin zwar kein ausgesprochener Hundefreund; vielmehr finde ich, dass Hunde in der Stadt nichts verloren haben. Aber sobald ich jemanden entdecke, der seinen Canis lupus familiaris vor einer AA-Filiale anleint, werde ich den Tierschutzverein benachrichtigen – getreu dem Motto: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. So kann es eines Tages doch noch kommen, was ich nicht für möglich gehalten hätte: Der Hund wird zum besten Freund des Menschen, in diesem Falle zu meinem. Solange Dauerwellen, Leggings, Schulterpolster und Lederkrawatten nicht zurückkehren, soll mir dies recht sein.