Die Geheimdienste von Deutschland …

Rührei

Allein am leeren Frühstückstisch sitzen und an Mutter Beimer aus der Lindenstraße denken, die bei Sorgen stets Spiegeleier brät. Dann ein Rührei mit diesem und jenem zubereiten und, obwohl es schmackhaft ist, unmotiviert darin herumstochern und einen kurzen Moment an die denken, mit denen ich einst gemeinsam Rühreier zum Frühstück aß.

In der Tageszeitung etwas vom Bundestrojaner lesen und sich an den Verrückten erinnern, der vor etwa 15 Jahren selbst im tiefsten Winter nur leicht bekleidet durch Hamburgs Einkaufsstraßen zog, um die Menschheit mit sonorer Stimme vor den Machenschaften der Geheimdienste zu warnen. Jeden seiner Sätze begann er mit den Worten „Die Geheimdienste von Deutschland …“ Kopfschüttelnd gingen die Passanten an ihm vorüber, manche lachten ihn aus. Irgendwann war er verschwunden, erst bemerkte man es nicht, er war einfach weg. Vielleicht hatte er doch recht und wusste zu viel und sie haben ihn geholt. Und wo sind überhaupt all die anderen geblieben, die wir für verrückt hielten?

Dann weiter im Rührei herumstochern und darauf hoffen, dass alles bald vorbeigeht.

Distanzschule

Kuss
Prater, Kastanienallee, Berlin-Prenzlauer Berg

Man braucht nicht viel davon, um glücklich zu sein.
Wir küssen uns im Sonnenschein.
Das dunkle Königreich wird nicht mehr aufzuhalten sein.
Das Schlechte in der Welt bricht nunmehr über uns herein.

(Tocotronic)

Wir sitzen in einer Bar und das nicht zum ersten Mal. Sie ist eine kühle Blonde mit einem sehr norddeutschen Namen. Während wir uns angeregt über dieses und jenes unterhalten, kommen sich unsere Lippen plötzlich sehr nahe etc. Als ich dazu ansetze, meine Augen zu schließen, zischt sie mir leise zu: „Denk nicht einmal daran.“

Vielleicht hätte ich es trotzdem versuchen sollen. Dann hätte sie mir eine schallende Ohrfeige verabreicht, um mir sofort darauf in die Arme zu fallen und mich leidenschaftlich zu küssen, wie es in Hollywood üblich ist. Vielleicht wäre dabei aber auch nur meine Brille zu Boden gefallen und in tausend Scherben zerborsten, wie es in Hamburg-Altona üblich ist.

Als sei selbstverständlicher nichts auf der Welt, justiere ich binnen Bruchteils einer Sekunde unseren Distanzbereich auf ein übliches Maß. Als wäre nichts geschehen, nippen wir weiter an unseren Getränken und fahren mit der Konversation fort.

Viele Jahre später dann in denkbar unpassenden Situationen immer und immer wieder die aufkommende Frage, ob die kühle Blonde damals wirklich gezischt hat oder ob es ausschließlich in meinem Kopf stattfand.

Schlesische Straße

Up above
Aliens hover
Making home movies
For the folks back home

(Radiohead)

Die Sonne scheint, aber es ist eine andere als noch vor ein paar Tagen. Es ist bereits diese Scheißrilkeherbsttagssonne, die den Niedergang des nur leidlich angedeuteten Sommers ankündigt. Vor mir geht ein kleiner Mann mit wild wucherndem Backenbart, der mit heiserer Stimme in sein Mobiltelefon spricht: „Wirst Du 43 oder 44? – Mann, Mann, Mann, wie die Zeit vergeht.“ Fassungslos schüttelt er seinen Kopf. „Wenn Du 44 wirst, erinnert mich das daran, dass ich dieses Jahr 41 werde“, etc. Aus der Kindertagesstätte duftet es nach frischgebackenem Kuchen. Nachricht an mich: „Ach bosch, was soll ich mit Deiner Melancholie?“ Ich weiß es auch nicht.

Spannungsbogen

Volvo Amazon
Platt.

Gewöhnlich passiert ja nicht viel im Leben. Und dann plötzlich ist die Aufregung die allergrößte. Schon einen Moment später entlädt sich alles. – Was eben noch Anspannung bedeutete, verläuft im Ungefähren. Alles plätschert wieder vor sich hin. Stille. Täglich hielte man das nicht aus. Wie das wohl Gehirnchirurgen oder Busfahrer schaffen?