Myll, 15. August 2012

0957. Ich lese gerne Todesanzeigen. Hans Erich Dotter ist von uns gegangen. Das ist traurig, hat er doch als junger Kaufmann mit Hilfe eines befreundeten Chemikers ein Präparat zur apparatelosen Herstellung von Dauerwellen entwickelt, wie wir heute in der FAZ erfahren. Das kann man jetzt belächeln, muss man aber nicht. Ist schließlich auch eine Leistung, so eine apparatelose Herstellung von Dauerwellen. Wenn ich ablebe, habe ich zwar nichts geleistet, bekomme aber wenigstens auch eine bescheuerte Würdigung in so einer Anzeige.

1957. Café unter den Linden, Tannenzäpfle Hefeweizen schmeckt wie Abwaschwasser; schade. Bleibe bei Schneider Weisse. Lese F Scott Fitzgeralds Kurzgeschichte „Thank You For The Light“. Furchtbarer kitsch. Der New Yorker hat die Geschichte 1936 abgelehnt und nun doch veröffentlicht. Manchmal sind die ersten Entscheidungen eben doch die richtigen.

2245. Der Knochenmann auf ARTE. Josef Hader ist toll.

Nachruf

„Versuchen wir es mit Ironie:
Das Leben ist schön.“

(@bosch)

Am Rande des Friedhofs der, so groß ist, dass auf ihm Linienbusse verkehren, befindet ein tristes Café. Zwischen Trauerrede, die der Pfarrer mühsam aus dem Gedächtnisprotokoll der Hinterbliebenen zusammengestückelt hat, und der letzten Fahrt mit dem Kombi kommt die Gemeinde noch einmal auf Korn und Butterkuchen zusammen, um der Verstorbenen zu gedenken.

Während für Prominente, bei denen die Redaktionen der großen Medienhäuser davon ausgehen, dass sie in näherer Zukunft das Zeitliche segnen werden, längst wohlformulierte Nachrufe in der Schublade liegen, interessiert sich normalerweise niemand für das Ableben der 98jährigen Rentnerin Erna Müller, die beim Gardineaufhängen von der Leiter gefallen ist.

Obwohl die Nachrichtenlage für den regelmäßigen Leser einer Tageszeitung zu jeder Zeit deprimierend genug sein dürfte, erkennt die Redaktion des Regionalblattes, dass die Zukunft der Zeitung im Lokalen liege. Schließlich interessere einen Menschen ja nichts mehr als den Menschen und man müsse wieder näher ran an das Geschehen im Alltag etc. Und so kam es, dass man beschloss, den Rezipienten fortan jeden Freitag mit Erinnerungen an „Berliner, die in jüngster Zeit gestorben sind“ im Schülerzeitungserzählstil zu konfrontieren.

Und so erfahren wir im Nachruf des Tagesspiegels nicht nur, dass Erna Müller häufig Auseinandersetzungen mit ihren nachts lärmenden Nachbarn, aber trotz allergischer Reaktionen Freude an ihrer Angorakatze hatte. Bei der Beerdigung ihres einige Jahre vor ihr verstorbenen Ehemannes erfuhr sie zufällig von der Existenz seiner frühren Geliebten, da es sich diese nicht nehmen ließ, einen üppigen Kranz zu schicken. Mittags aß sie immer am liebsten Schlemmerfilet á la Bordelaise und hatte sehr gepflegte Fingernägel. Ein Kind war in ihren Lebensplänen nicht vorgesehen, dafür aber regelmäßige Fahrradtouren in der Eifel.

Und das soll nun alles gewesen sein?

Todesanzeigen

Todesanzeigen in der Süddeutschen Zeitung

Für mein Leben gern lese ich die Todesanzeigen in der Süddeutschen Zeitung. Der Lokalteil dieser Zeitung interssiert mich darüber hinaus nicht, schließlich habe ich weder in München gelebt noch kenne ich jemanden, der in der bayerischen Landeshauptstadt das Zeitliche segnen könnte. Das Beste an den Traueranzeigen sind die Bekanntmachungen der Friedhofsverwaltung. Hier wird genau bezeichnet, wer wann und wo beigesetzt wird; aber nicht nur das:  auch der Beruf der Verblichenen wird hier exakt angegeben. So weiß ich, dass die Menschen in München Tätigkeiten wie „Bundesbahnbeamter“, „Näherin“, „Hafner/Ofensetzer“, „Buchbinder“, „Maschinenstrickerin“ oder gar „Zolldeklarant“ nachgingen.

Allesamt Berufsbilder aus einer längst vergangenen Zeit, wie sie von den „Blättern zur Berufskunde“, die früher das Arbeitsamt, als es noch nicht Bundesagentur für Arbeit hieß, nicht hätte schöner ersonnen werden können. Noch nie ist ein „Facility Manager“, ein „Human Resources Developer“ oder ein „Social Media Consultant“ dahingeschieden. Nicht, dass diese Berufe unsterblich machten – aber bis diejenigen, die diese Berufe ausüben, an der Reihe sind, wird es wohl keine auf Papier gedruckten Todesanzeigen mehr geben.

Kuriose Todesanzeigen

Todesanzeige

Nach einigen Tagen der Qual habe ich bereits nach einer griffigen Formulierung für meine eigene Anzeige gesucht. Zum Glück bin ich dem Sensenmann noch einmal entkommen und mit mir geht es wieder bergauf. Falls Ihr Euch für den Ernstfall rechtzeitig ein paar Anregungen holen möchtet, empfehle ich die großartige Todesanzeigensammlung von Christian Sprang, der seit vielen Jahren Kuriositäten aus diesem Bereich sammelt und diese bereits seit 2003 im Internet veröffentlicht. Und wer es lieber geschmackvoll mag, der ist hier sicher an der richtigen Adresse.