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Tischlein deck dich

Tischlein deck dich

Hamburg ist rot-orange. Überall, wohin man sieht: Jutebeutel und wallende Gewänder. Selbst mein beschauliches Wohnviertel haben sie bereits erreicht, stelle ich fest, während ich in meinem Stammcafé im Cappuccino herumrühre. Kahlköpfige Mönche posieren bereitwillig lächelnd zum Gruppenphoto und Tausende meditierende Hausfrauen aus der schwäbischen Provinz pilgern in das Tennisstadion, um vom Ozean der Weisheit zu erfahren, wie sie den Kreislauf des Leidens durchbrechen können. Beschwingt von so viel Erkenntnis erkunden sie anschließend die touristischen Attraktionen der Hansestadt. Im Wind wehen dabei unentwegt die ihnen um die Hälse hängenden Plastikschilder, als wären diese nicht bloß die Zugangsberechtigung zum Tennisplatz, sondern auch gleich die Eintrittskarte ins Nirvana.

Niemand in der Stadt aber scheint sich der in der Luft liegenden positiven Stimmung entsagen zu können. Auch mich lässt der Besuch seiner Heiligkeit, des 14. Dalai Lamas, nicht kalt. Mitgefühl empfinde ich in diesem Moment vor allem für die neben mir sitzende alleinerziehende Mutter des hyperaktiven Kleinkindes, das seit einer gefühlten halben Stunde sämtliche in greifbarer Nähe befindlichen Speisekarten, Aschenbecher sowie Salz- und Zuckerstreuer auf meinem Tisch platziert, indem er auf diesen größtmögliche Kraft ausübt. Salz- und Zuckerstreuer drohen zu zerbersten. Ich bleibe gelassen übe mich in Gelassenheit – auch ohne Meditation. Die arme Mutter muss dieses anstrengende Balg den ganzen Tag ertragen. Mitgefühl empfinde ich aber auch mit dem Jungen. Völlig unerwartet ruft die Mutter den Jungen nach einer gefühlten Stunde zur Ordnung. Er heißt Herbert. Mein Mitgefühl für die Mutter entweicht langsam, denn ich habe gelernt: kein Handeln bleibt ohne Folge [siehe auch Karma], das gilt natürlich auch für die Namensgebung des Nachwuchses.

8 Antworten auf „Tischlein deck dich“

Warum nur haben die Schwaben so ein schlechten Ruf? Ich verstehe, dass sich Dummheiten in der schwäbischen Tonart gleich noch viel dümmer anhören, und Provinzialität mit all ihren schlechten Eigenschaften durchaus auch einen Platz in Schwaben hat. Aber die findet man auch anderswo.

Schwaben haben viel mehr Verständnis verdient ;)

@Mark: Sie haben so einen schlechten Ruf, weil sie überall nicht nur laut, sondern auch dämlich herumschwäbeln. Immerhin haben die Buddhisten unter ihnen ja noch die Chance, hochdeutschsprechend wiedergeboren zu werden. Allerdings nur theoretisch. Kein Handeln bleibt ohne Folge, auch dämliches Herumgeschwäbel nicht. Deswegen könnte es auch sein, dass die Damen sich in ihrem nächsten Leben als Sächsin wiederfinden. Na ja, vielleicht werden auch die Schwäbinnen, die einen Hochdeutschkurs besucht haben, akzentfrei wiedergeboren. Ich wünsche ihnen jedenfalls viel Glück.

@Frank: Also auf den Milchschaum in meinem Lieblingscafé lasse ich nichts kommen. Der wirkt auf dem Bild nur so eingefallen, weil ich mich von dem randalierenden Kind ablenken ließ und mich nicht dem Cappuccino zuwenden konnte. Wenn jemand den Kreislauf des Leidens durchbricht, dann sind es die Bedienungen aus dem Café du passage.

das schlimme an schwaben ist ja, dass sie, auch wenn sie als touristen oder gäste (letzteres häufiger, ist ja billiger) unterwegs sind, pausenlos die gesamte umwelt mit „dahoim“ vergleichen. „ha noi, hascht du au auf die ganze bsoffene vor dene supermärkte achtgähm? de kunnt aba fei ruhig amol schaffe geh.“

man darf jetzt in hamburg aber auch nicht meckern, zum glück zieht ja berlin den wesentlich anteil an schwaben und fernsehbayerisch sprechenden münchnern mit seinen östlichen szenevierteln an, wo sie dann alles genauso wie daheim in schwab(l)ing aufbauen dürfen.

Ich fürchte, manchmal wollen die nicht den Kreislauf des Leidens, ehm, durchbrechen, sondern den des LEBENS.

Auf jeden Fall lässt sich festhalten, dass seine Heiligkeit ziemlich viele junge Menschen zieht – sehr attraktive jungen Damen. Und das muss man ihm erstmal nachmachen.

Wie du aber diese Kurve zum HERBERT gekriegt hast, ist beachtlich. Wo mag denn nur Herberst Vater sein? Schon drüben?

Wenn ich eine Tochter bekäme, würde ich sie wohl NIRVANA nennen …

Bin etwas zu spät, aber mit dem Foto hättest du ja beim bellobene Fotowettbewerb mitmachen können.
wg. DL: Ich finde es etwas demystifizierend, wenn man sozusagen „ins Konzert“ geht. Aber gut, die Demystifizierung begann spätestens, als Kai Diekmann eine Audienz erhielt ;-)

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