Soundtrack meines Lebens: You’ve Got To Hide Your Love Away

Während man sich in meiner Generation im Prinzip lediglich zwischen Blur und Oasis entscheiden musste (ich: Blur!), stand die Generation meiner Eltern vor der weitaus entscheidenderen Frage: Beatles oder Rolling Stones? Ich weiß gar nicht genau, auf welcher Seite meine Eltern standen; aber da sich in unserem Haushalt zumindest eine einzige Beatles-CD, hingegen keine der rollenden Steine befand, schließe ich daraus, dass man eher den Liverpooler Pilzköpfen zugeneigt war.

Ganz richtig, es gab eine CD. Ich bin mit den silbernen Scheiben groß geworden, analoge Tonträger wurden frühzeitig weitestgehend aus meinem Leben verbannt. Das ist im Nachhinein schade, schätze ich doch heute die schwarzen Rillen, aber die 80er Jahre des vergangenen Jahres waren eben – trotz Demonstrationen gegen Atomkraftwerke – tendenziell von zum Teil einer absurden Technikgläubigkeit geprägt. Während fünf Jahrzehnte alte Schallspielplatten bei ordnungsgemäßer Behandlung noch immer einwandfrei ihren Dienst versehen, rechne ich damit, dass sich die ersten Compact Discs aus meiner Sammlung demnächst in Wohlgefallen auflösen werden.

Der erste Tonträger der Beatles, welcher mir im Alter von dreizehn Jahren in die Hände fiel, war „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ – selbstverständlich als CD. Beim Betrachten des wunderbaren Covers kamen mir allerdings die ersten Zweifel an der Sinnhaftigkeit des digitalen Mediums, waren doch die berühmten Persönlichkeiten von Bob Dylan über Marlene Dietrich bis hin zu Karl Marx und Albert Einstein selbst mit meinem zu damaliger Zeit noch nicht fehlsichtigen Kinderauge auf dem montierten Gruppenbild kaum zu erkennen. Künftige Generationen, die mp3-bedingt gänzlich ohne Cover-Art aufwachsen müssen, werden selbst die haptisch unzulängliche Compact Disc möglicherweise wieder mehr zu schätzen wissen. Vom ersten Ton an (Stimmen des Orchesters) fand ich die Platte großartig. Aber, als wenn es nicht schon gereicht hätte, dass ich mit CDs groß geworden bin, ich bin auch noch mit Best-of-Alben groß geworden. Zum ersten Mal habe ich nun ein Album als Gesamtkunstwerk wahrgenommen, wenngleich sich mir das Konzept dieses sogenannten Konzeptalbums auch erst Jahre später erschließen sollte. Trotz rudimentärer Englischkenntnisse ist mir gleichwohl die eher fröhliche Grundstimmung der Musik nicht verborgen geblieben.

Ich wollte mehr – und so war meine Freude entsprechend groß, als ich nur wenige Wochen später  in der Plattensammlung der Eltern meines damals besten Freundes die Vinylversion des Doppelalbums „1967-1970“, besser bekannt als „Das blaue Album“, entdeckte. Mit etwas Rechenkunst und viel Geschick ist es mir gelungen, dieses auf eine Compact-Cassette mit einer Länge von 90 Minuten zu überspielen. Dieses Wunder gelang freilich nur durch Weglassen der mir bereits von „Sgt. Pepper“ bekannten Titel – und passte zu meinem Erstaunen – meine Rechenkünste waren nicht sonderlich ausgeprägt – ziemlich genau aufs Band. Auch das „blaue Album“ bereitete mir die größte Freude, über das von Beginn an als dümmlich empfundene „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ sehe ich noch heute großzügig hinweg (ebenso über „Hello, Goodbye“).

Warum aber habe ich nun „You’ve Got To Hide Your Love Away“ gewählt? Dieses Lied aus dem fünften Album der Beatles „Help!“, das gleichzeitig Soundtrack zum gleichnamigen Film war, begegnete mir noch vor „Sgt. Pepper“ und zwar – man hält es kaum für möglich – im Musikunterricht. In der sechsten Klasse hatte ich einen wunderbaren Musiklehrer namens Götz Glatz, der uns nicht nur mit der Blockflöte quälte, sondern mir auch die Beatles und Bob Dylan genauso nahebrachte wie den plattdeutschen Folksong „Dat du min Leevsten bist“. Er unterrichtete Musik als sogenanntes Neigungsfach; das heißt, er hatte keine formelle schulmusikalische Ausbildung genossen und nur wenig Ahnung von den laut Lehrplan vorgesehenen Themen – aber viel Spaß an der Musik, und verstand es vor allem, diesen weiterzugeben. Eines Tages sang er zu seiner Gitarrenbegleitung „You’ve Got To Hide Your Love Away“ und erzählte uns von der Großartigkeit der Beatles. Dies ist sicher nicht der bedeutendste Song der Beatles, aber für mich vielleicht der erste, den ich bewusst wahrgenommen habe.

Glatzens Hauptfach war Mathematik, für die seine (und auch meine) Begeisterung sicher nicht ganz so groß war. Umso froher bin ich heute, dass mir die Kopie des „Blauen Albums“ dennoch gelang. Götz Glatz hätte die Freude an der guten Musik sicher noch an viele Schülergenerationen weitergeben können. Leider verstarb er vor ein paar Jahren viel zu früh. Höre ich heute ein Stück von den Beatles, denke ich manchmal noch an meinen alten Lehrer – aber eher an seinen feinen Musikunterricht als an die Binomischen Formeln. „Sgt. Pepper“ habe ich beim Auszug aus dem Elternhaus mitgenommen – obwohl es nur eine CD war.


Dies ist ein Beitrag aus meiner Serie “Der Soundtrack meines Lebens”. Weitere Beiträge dazu folgen demnächst wahrscheinlich hier. Du möchtest auch ein Stück Musik vorstellen? Nur zu.

Soundtrack meines Lebens: Major Tom

Beginne ich gleich mit den ganz großen Peinlichkeiten: Dass ich im Jahr 1976 das Licht der Welt erblickte, ist eigentlich halb so schlimm. Jedoch hatte dies zur Folge, dass ich meine ersten musikalischen Kontakte mit Liedern der sogenannten Neuen Deutschen Welle (NDW) machte, einer deutschsprachigen Variante des New Wave und Punk. Die Protagonisten dieser musikalischen Strömung kamen aus Westberlin, Düsseldorf oder Hamburg, trugen unförmige, neonfarbige Kleidungsstücke, und die Frauen hatten überwiegend sehr ausladende dauergewellte Frisuren, die den Eindruck machten, als sei gerade eine Atombombe in ihrem Kopf explodiert. Aber auch sonst waren die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine schlimme Zeit, was sich auch daran zeigte, dass sich bereits 1980 Die Grünen gründeten.

Im Jahre 1983 interessierten mich aber weder Atombomben noch politische Parteien (auch angesichts der damaligen Frisurenmode bekam ich erst Jahre später, als mir Fotos aus dieser Zeit gezeigt wurden, ein ungutes Gefühl). Schon zu groß für den Kindergarten, aber noch kurz vor der Einschulung habe ich das erste Mal in meinem Leben Musik bewusst wahrgenommen: Der gelernte Reiseverkehrskaufmann Peter Schilling besang Major Tom, einen fiktiven Raumfahrer, der die Verbindung zu seiner Bodenstation verliert. Acht Wochen lang führte dieses Lied die Verkaufscharts an.

Mein Vater besaß damals ein großspuliges Tonbandgerät der Schwarzwälder-Apparate-Bau-Anstalt (SABA) Telefunken, auf dem ich dieses Lied immer und immer wieder hörte. Vom Text verstand ich vermutlich nicht sonderlich viel, wähnte mich jedoch dabei in einem Raumschiff. Völlig losgelöst …


Dies ist ein Beitrag aus meiner Serie „Der Soundtrack meines Lebens“. Weitere Beiträge dazu folgen demnächst wahrscheinlich hier. Du möchtest auch ein Stück Musik vorstellen? Nur zu.

Der Soundtrack meines Lebens

Hammerklavier Trio feat. Torsten Goods in der Ponybar, Hamburg, am 11.02.2009

Da lob ich mir ein Stück Musik von Hand gemacht,
Noch von einem richt‘gen Menschen mit dem Kopf erdacht,
‘ne Gitarre, die nur so wie ‘ne Gitarre klingt,
Und ‘ne Stimme, die sich anhört, als ob da jemand singt.
(Reinhard Mey)

„Digital ist besser“ sangen Tocotronic einst etwas diffus. Nicht dass Musik aus Nullen und Einsen keine Kunst wäre, aber so eine richtige Gitarre, sei sie auch noch so schrammelig, oder ein agogisches Schlagzeug, sei es auch noch so schleppend oder drängend, ist doch durch nichts zu ersetzen. Müsste ich mich zwischen einem Reinhard-Mey-Konzert und einer Techno-Party entscheiden, ich wüsste sofort, wofür. Zum Glück gibt es Alternativen.

Dennoch kann auch ich leider nicht von mir behaupten, den guten Musikgeschmack mit der Muttermilch aufgesogen zu haben: in meinem Elternhaus befanden neben wenigen konservierten Musikperlen vor allem Größte-Erfolge-Kompilationen von Neil Diamond bis Alexandra, eine leiernde Grönemeyer-LP, Ravels Bolero sowie ein Tonbandgerät, mit dem hin und wieder Musik aus Radiosendungen mitgeschnitten wurde. Ich bin vermutlich der erste in meiner Familie, der ein Musikinstrument erlernt hat (Gitarre, zunächst klassisch, dann leidlich Jazz) und trotzdem haben mich – wie sicher die meisten anderen Menschen – auf meinem Lebensweg auch Lieder begleitet, bei deren Ertönen ich heute am liebsten im Erdboden versänke. Als Kind bereitete mir „Major Tom“ (allerdings der von Peter Schilling und nicht der von David Bowie) viel größere Freude als „Kind of Blue“.

In unregelmäßiger Reihenfolge werde ich in diesem Weblog Stücke aus dem „Soundtrack meines Lebens“, wie es in einer Zeitschrift, die ursprünglich für Menschen, die eigentlich erwachsen werden sollten, gemacht wurde, so schön heißt. Ich bin kein Freund der Hit- und Blogparaden, dennoch würde ich mich freuen, wenn sich der eine oder andere Blogger fände, der seine Lieder vorstellte. Dies ist keine Pfeife, dies ist kein Liebeslied und dies ist keine Blogparade.


Teil 1: Peter Schilling – Major Tom
Teil 2: The Beatles – You’ve Got To Hide Your Love Away
Teil 3: Rolling Stones – Sympathy For The Devil
Teil 4: Tocotronic – Das Unglück muss zurückgeschlagen werden
Teil 5: Pat Metheny – Bright Size Life
Teil 6: Chet Baker – My funny Valentine
Teil 7: John Cale & Lou Reed – Hello It’s Me
Teil8: Rio Reiser – Stiller Raum
Teil 9: Charles Trénet – La mer
Teil 10: Erdmöbel – Nichts zu verlieren
Teil 11: Britta – L****
Teil 12: Tocotronic – Jetzt geht wieder alles von vorne los
Teil 13: Gustav – Rettet die Wale
Teil 14: Gustav – Alles renkt sich wieder ein

HafenCity

HafenCity: 155 Hektar groß, Büros für 40.000 Arbeitsplätze, 5.500 Wohnungen, unzählige rechte Winkel. Die öffentlichen Plätze heißen Magellan-Terrassen, Vasco-da-Gama-Platz und Marco-Polo-Terrassen. Gehetzte Schlipsträger mit Kaffeebechern in der Hand treffen auf Touristen, die busweise angekarrt werden, um eines der größten städtebaulichen Projekte Europas zu bestaunen. Baustellenlärm und -staub; direkt nebenan absolute Sterilität. Stahl und Glas dominieren das Bild, das angepflanzte Grün wirkt wie ein Fremdkörper. Ein Spielplatz ohne Kinder und ein Konzertsaal, dessen Baukosten nicht abzusehen sind, kein Lebensmittelgeschäft weit und breit. Urbanes Wohnen und Arbeiten soll in der HafenCity Hand in Hand gehen. Aber hier leben? Nein Danke.


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