Analog ist besser


In einer Gesellschaft,
in der man bunte Uhren trägt,
in einer Gesellschaft wie dieser
bin ich nur im Weg.

Aber Digital ist besser,
Digital ist besser,
Digital ist besser,
für mich.

(Tocotronic)

Vor zwanzig Jahren unter einem Hochbett gesessen: Wir hörten die Beatles, das weiße Album – von Schallplatte. Ich besaß damals bereits einen CD-Player und hielt ihn für überlegen: digitale Technik, perfekte Reproduzierbarkeit, keine Abnutzungserscheinungen.

Ein Irrglaube, denn während sich die ersten Silberlinge vielleicht bald ganz von allein in Luft auflösen, wird Vinyl von Bestand sein.

Manchmal sehne ich mich danach, einen Tonarm behutsam aufzusetzen, eine Platte umzudrehen, nach dem Knistern, der Wärme des Tons und in einer großformatigen Plattenhülle zu blättern. Alles Nostalgie oder Psychoakustik? Mag sein. Aber möglicherweise gibt es Zwischentöne, die sich in Nullen und Einsen nicht ausdrücken lassen.

Soundtrack meines Lebens: You’ve Got To Hide Your Love Away

Während man sich in meiner Generation im Prinzip lediglich zwischen Blur und Oasis entscheiden musste (ich: Blur!), stand die Generation meiner Eltern vor der weitaus entscheidenderen Frage: Beatles oder Rolling Stones? Ich weiß gar nicht genau, auf welcher Seite meine Eltern standen; aber da sich in unserem Haushalt zumindest eine einzige Beatles-CD, hingegen keine der rollenden Steine befand, schließe ich daraus, dass man eher den Liverpooler Pilzköpfen zugeneigt war.

Ganz richtig, es gab eine CD. Ich bin mit den silbernen Scheiben groß geworden, analoge Tonträger wurden frühzeitig weitestgehend aus meinem Leben verbannt. Das ist im Nachhinein schade, schätze ich doch heute die schwarzen Rillen, aber die 80er Jahre des vergangenen Jahres waren eben – trotz Demonstrationen gegen Atomkraftwerke – tendenziell von zum Teil einer absurden Technikgläubigkeit geprägt. Während fünf Jahrzehnte alte Schallspielplatten bei ordnungsgemäßer Behandlung noch immer einwandfrei ihren Dienst versehen, rechne ich damit, dass sich die ersten Compact Discs aus meiner Sammlung demnächst in Wohlgefallen auflösen werden.

Der erste Tonträger der Beatles, welcher mir im Alter von dreizehn Jahren in die Hände fiel, war „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ – selbstverständlich als CD. Beim Betrachten des wunderbaren Covers kamen mir allerdings die ersten Zweifel an der Sinnhaftigkeit des digitalen Mediums, waren doch die berühmten Persönlichkeiten von Bob Dylan über Marlene Dietrich bis hin zu Karl Marx und Albert Einstein selbst mit meinem zu damaliger Zeit noch nicht fehlsichtigen Kinderauge auf dem montierten Gruppenbild kaum zu erkennen. Künftige Generationen, die mp3-bedingt gänzlich ohne Cover-Art aufwachsen müssen, werden selbst die haptisch unzulängliche Compact Disc möglicherweise wieder mehr zu schätzen wissen. Vom ersten Ton an (Stimmen des Orchesters) fand ich die Platte großartig. Aber, als wenn es nicht schon gereicht hätte, dass ich mit CDs groß geworden bin, ich bin auch noch mit Best-of-Alben groß geworden. Zum ersten Mal habe ich nun ein Album als Gesamtkunstwerk wahrgenommen, wenngleich sich mir das Konzept dieses sogenannten Konzeptalbums auch erst Jahre später erschließen sollte. Trotz rudimentärer Englischkenntnisse ist mir gleichwohl die eher fröhliche Grundstimmung der Musik nicht verborgen geblieben.

Ich wollte mehr – und so war meine Freude entsprechend groß, als ich nur wenige Wochen später  in der Plattensammlung der Eltern meines damals besten Freundes die Vinylversion des Doppelalbums „1967-1970“, besser bekannt als „Das blaue Album“, entdeckte. Mit etwas Rechenkunst und viel Geschick ist es mir gelungen, dieses auf eine Compact-Cassette mit einer Länge von 90 Minuten zu überspielen. Dieses Wunder gelang freilich nur durch Weglassen der mir bereits von „Sgt. Pepper“ bekannten Titel – und passte zu meinem Erstaunen – meine Rechenkünste waren nicht sonderlich ausgeprägt – ziemlich genau aufs Band. Auch das „blaue Album“ bereitete mir die größte Freude, über das von Beginn an als dümmlich empfundene „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ sehe ich noch heute großzügig hinweg (ebenso über „Hello, Goodbye“).

Warum aber habe ich nun „You’ve Got To Hide Your Love Away“ gewählt? Dieses Lied aus dem fünften Album der Beatles „Help!“, das gleichzeitig Soundtrack zum gleichnamigen Film war, begegnete mir noch vor „Sgt. Pepper“ und zwar – man hält es kaum für möglich – im Musikunterricht. In der sechsten Klasse hatte ich einen wunderbaren Musiklehrer namens Götz Glatz, der uns nicht nur mit der Blockflöte quälte, sondern mir auch die Beatles und Bob Dylan genauso nahebrachte wie den plattdeutschen Folksong „Dat du min Leevsten bist“. Er unterrichtete Musik als sogenanntes Neigungsfach; das heißt, er hatte keine formelle schulmusikalische Ausbildung genossen und nur wenig Ahnung von den laut Lehrplan vorgesehenen Themen – aber viel Spaß an der Musik, und verstand es vor allem, diesen weiterzugeben. Eines Tages sang er zu seiner Gitarrenbegleitung „You’ve Got To Hide Your Love Away“ und erzählte uns von der Großartigkeit der Beatles. Dies ist sicher nicht der bedeutendste Song der Beatles, aber für mich vielleicht der erste, den ich bewusst wahrgenommen habe.

Glatzens Hauptfach war Mathematik, für die seine (und auch meine) Begeisterung sicher nicht ganz so groß war. Umso froher bin ich heute, dass mir die Kopie des „Blauen Albums“ dennoch gelang. Götz Glatz hätte die Freude an der guten Musik sicher noch an viele Schülergenerationen weitergeben können. Leider verstarb er vor ein paar Jahren viel zu früh. Höre ich heute ein Stück von den Beatles, denke ich manchmal noch an meinen alten Lehrer – aber eher an seinen feinen Musikunterricht als an die Binomischen Formeln. „Sgt. Pepper“ habe ich beim Auszug aus dem Elternhaus mitgenommen – obwohl es nur eine CD war.


Dies ist ein Beitrag aus meiner Serie “Der Soundtrack meines Lebens”. Weitere Beiträge dazu folgen demnächst wahrscheinlich hier. Du möchtest auch ein Stück Musik vorstellen? Nur zu.