Durch die Bars – Leipzig, Berlin, Hamburg

Gleich drei Mal binnen einer Woche am Tresen sitzen, das ist viel. Jeweils zwei bis drei Cocktails genießen, das geht in Ordnung. Zwei ist das Maß der Dinge. Man ist ein bißchen beschwippst und danach könnte man sich locker noch ein Taxi nach Hause leisten, benötigt es aber gar nicht. Ab dem dritten Drink wird es zuweilen schon mal etwas wackelig auf dem Barhocker. Man ist schon ziemlich angetüddelt und benötigt eigentlich ein Taxi für den Heimweg, aber je nach Bar hat man sein Budget für den Abend auch schon etwas überzogen. Erwachsenes Trinken beginnt schon bei der realistischen Einschätzung seiner Möglichkeiten.

imperii, Leipzig

Old Cuban Cocktail
Old Cuban. imperii, Leipzig

Ein bißchen ratlos ist man ja oft in einer fremden Stadt, wenn man unverhofft einen freien Abend hat und diesen zwar allein, aber doch möglichst angenehm verbringen will. Die Recherche für Leipzig ist schnell abgeschlossen. Ich gehe ins imperii, das nicht nicht nur für Leipzig eine gute Adresse ist, sondern überhaupt eine ganz hervorragende Bar. Die Karte macht mich zunächst etwas ratlos, also lasse ich mir etwas empfehlen. Der Service ist freundlich und kompetent.

Beim zweiten Drink wechsle ich zu den Klassikern, weil ich es klassisch mag. Auf Infusionen, Gedrippe, Gedampfe, Gemüse und Schirmchen verzichte gern, aber so etwas gibt es hier sowieso nicht, hier wird noch ganz ehrlich gerührt und geschüttelt. Außerdem erhalte ich dank Jörg Meyers Podcast „Empfehlungen eines Trinkers“ gerade täglich neue Inspirationen aus der Welt der klassischen Getränke und ich kann gar nicht so schnell trinken wie Herr Meyer podcasten kann. Ich bestelle einen Old Cuban, der ganz hervorragend fresh ist und etwas Sommer in das winterliche Sachsen bringt. Eine gute Wahl. So gut, dass auch der alleinreisende Herr am Nebentisch gleich auch einen Old Cuban bestellt.

Nach dem zweiten Drink kommt dann der Übermut und ich bestelle etwas Verrücktes: einen Twentieth Century Cocktail, den Herr Meyer kürzlich in seinem Podcast als den besten Cocktail der Welt gepriesen hat. Ich freue mich ein bißchen, dass André Pintz, der Chef und ein wahrer Meister seines Faches, zunächst in einem Barbuch nachschlagen muss – und dann aber routiniert, als würde er nie etwas anderen mixen, einen ganz wunderbaren Drink mit einer sehr eigenartig-schönen Mischung aus Ingredenzien zaubert, die scheinbar nicht zusammengehören: Zitrone und Kakao. Das ist irgendwie ziemlich klassisch und funky zugleich. Yeah!

Zwei sehr angenehme Stunden, drei gute Drinks – was will man mehr in einer fremden Stadt? Der Bartender schickt am nächsten Tag eine Facebook-Freundschaftsanfrage, was mich beruhigt, denn ich hatte ein bißchen ein schlechtes Gewissen, weil er die Karte so liebevoll kuratiert hat, und ich dann doch auf Abseitigeres ausgewichen bin. Jedenfalls so schlimm kann ich als Gast dann nicht gewesen sein, denke ich, und werde bei meinem nächsten Leipzig-Aufenthalt gern zurück ins imperii kommen und rate dem geneigten Trinker hiermit ausdrücklich zu einem Besuch dieser Bar.

Becketts Kopf, Berlin

Ja ja, Becketts Kopf schon wieder. In Berlin gibt es doch so viele gute Bars, an jeder Ecke und ein jeder weiß immer gleich ein Dutzend noch bessere. Ich gehe trotzdem in Becketts Kopf, wie ich es immer getan habe, als ich noch in Berlin wohnte. Ich klingle an der Tür und werde, ganz wie es meinem unausgesprochenem Wunsch entspricht, am Tresen plaziert. Der erfahrene Bartender hat selbstredend ein Gespür dafür, wer wo sitzen muss. Kurz wundere ich mich, dass jetzt vorn der Raucherbereich ist, der sich früher im hinteren Zimmer befand. Normalerweise bevorzuge ich den Nichtraucherbereich, aber wichtiger ist es naturgemäß, am Tresen zu sitzen.

El Presidente Cocktail
El Presidente. Becketts Kopf, Berlin

Fünf Jahre liegt mein letzter Besuch in dieser vorzüglichen Bar bereits zurück. Die Karte ist genau wie damals von Hand in eine Beckett-Biographie eingefügt und auch hinter der Bar versteht man noch immer sein Handwerk. In einem Sessel neben der Bar sitzt ein korpulenter älterer Herr mit Hosenträgern vor einem aufgeschlagenen, ebenfalls sehr dicken Terminkalender. Er trinkt Champagner und raucht Zigarre. Nach jedem Schluck und jedem Zug schläft er für ein paar Minuten ein. Dann noch ein Gläschen und wieder von vorn. Das Personal weckt ihn nicht, ebenso wenig wie die neue Gäste ankündigende Türklingel, die anstelle eines akustischen Signals lediglich dezente Lichtzeichen von sich gibt. Am Tresen neben mir zwei jüngere Damen, die sich kichernd ihre erste Zigarre teilen, die sie nach jedem zweiten Zug unbeabsichtigt ausgehen lassen, was sie nach der Hälfte des Stumpens wieder zu ihren bewährten Zigaretten greifen lässt.

Aus der Karte bestelle ich einen El Presidente, anschließend lasse ich mir etwas empfehlen. Der Herr hinter der Bar empfiehlt einen Corpse Reviver. Gern folge ich dem fachkundigen Rat. Ein neuer klassischer Drink, der mein Repertoire erweitert – und zudem ein völlig unbekannter, weil Herr Meyer ihn in seinem Podcast noch nicht besprochen hat. Gin, Chartreuse, Lillet, Lemon Juice und Absinthe ergeben eine erfreuliche Mischung.

Gern hätte ich noch einen dritten Drink genommen. Da ich aber am nächsten Tag sehr früh einen Termin habe, muss ich verzichten, was einerseits schade ist, weil ich gern noch auf ein Getränk geblieben wäre, aber anderseits wahnsinnig professionell, weil der Grenznutzen nach dem zweiten Drink abnimmt und man selbst am nächsten Morgen einfach frischer ist, wenn man nur zwei Cocktails getrunken hat. Am besten ist es sowieso, nach zwei Drinks aufzuhören – lieber nochmal wiederkommen. Und überhaupt immer am besten: Antizyklisch in Bars erscheinen – sonntags oder montags, möglichst früh. Dann kann man sich den besten Platz aussuchen und die Menschen hinter der Bar sind viel entspannter, weil sie noch keine Endlosdiskussionen mit Craftginschlaumeiern über sich ergehen lassen mussten.

Le Lion – Bar de Paris, Hamburg

Heimathafen Hamburg. Dass ich im Le Lion wohnen würde, wäre wirklich zu viel gesagt. Dennoch ist es wohl die Bar, die ich von allen am häufigsten zu besuchen pflege. Es beruhigt mich stets, ein paar bekannte Gesichter zu sehen. Klingeln, Garderobe abgeben, Treppe hoch in den Pine Room. Da ist es am schönsten.

Canchanchara, Cocktail, Le Lion, Hamburg
Canchanchara., Le Lion, Hamburg

Auf dem Programm heute ein Cocktail-Flight unter dem Motto „The Cuban Affair“: CanchancharaPeriodistaRemember the Maine. Drei Cocktails in einer etwas kleineren Ausführung. Ich bin froh, dass mir die Qual der Wahl abgenommen wird. Psychologen haben herausgefunden, dass zu viele Optionen unglücklich machen. Alle Drinks sind hervorragend, aber man erwartet hier auch nichts anderes. Mein Favorit des Abends ist der Periodista: Rum, Cointreau, Apricot Brandy, Limettensaft. Toll.

Nach der weichen Landung sitze ich noch eine wenig herum und gucke und trinke das unentwegt großzügig nachgeschenkte Wasser. „Was machen wir jetzt mit Dir, bosch?“, fragt der Bartender und ich weiß es auch nicht, weil ich ja bereits fertig bin mit meinem Flight. Er stellt mir noch ein Glas Champagner hin, denn Champagner geht immer. Danke, Ihr Löwen. Zu Euch komme ich immer am liebsten.

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Update: Herr Meyer liefert. Keine 12 Stunden nach Veröffentlichung dieses Beitrags gibt es auch schon eine Podcast-Folge aus der Reihe „Empfehlungen eines Trinkers“, in der er den Corpse Reviver vorstellt. Cheers!

Hafengeburtstag

Einfach mal was Verrücktes tun und sich aufmachen zum Hafen. Hunderttausende sind schließlich dafür extra angereist, denn es ist Hafengeburtstag. Dann aber statt an die Landungsbrücken einfach gegen den Strom nach Harburg fahren und dort, am Hafen, das Nichts genießen. Keine tutenden Kreuzfahrtschiffe, keine majestätisch gleitenden Viermaster, keine ungelenk herumbalettierenden Schlepper, keine Fischbrötchen und vor allem keine Menschen. Das ist schön.

Kreuzung

Einmal falsch abgebogen und schon ist alles vorbei. Jetzt nicht für den Lastwagenfahrer, wohl aber für den von ihm übersehenen älteren Herrn. Genau zwei Jahre ist der Unfall her. Noch immer kommt seine Witwe regelmäßig an die Unfallstelle und legt Blumen nieder und zündet eine Kerze an. Immer wieder erneuert sie auch den Zettel in der Klarsichtfolie. Er erinnert an den „lieben Ehemann, Vater, Opa und Schwiegervater“.

Täglich komme ich an der Todeskreuzung entlang. Wie schnell alles zu Ende sein kann: Schnell.

Spring Beer Day im Alten Mädchen

Hopper Bräu aus Hamburg bringt mit dem ‚Tutti Frutti‘ ein Saison mit Gurken. Formidabel.

500 Jahre Reinheitsgebot sind genug. Man glaubt ja gar nicht, was man so alles verpasst, wenn man vor dem heimischen TV-Gerät sitzt und dabei kästenweise Regenwälder rettet. All das in dem guten Glauben, deutsches Bier sei das beste auf der Welt. Während es hierzulande strengstens verboten ist, den Sud mit einer Kirsche zu beleben, erlaubt die gestrenge Biergesetzgebung chemische Zusatzstoffe wie PPVP, die das Bier haltbar und klarer machen. Auf dass ein leuchtend-goldenes Bier, nachdem es ein halbes Jahr lang im Kiosk in der Sonne stand, noch genau so fad schmeckt wie am ersten Tag. Das naturbelassene Gebräu mit der Kirsche muss leider alkoholhaltiges Malzgetränk heißen, denn Bier darf sich nur nennen, was Hopfen, Malz und Wasser enthält – neben zahlreichen erlaubten künstlichen Zusatzstoffen. Prost! Trotzdem träumen industriell geprägte Großbrauer noch immer von ihrer Heiligsprechung, während im Nachbarland Belgien die Bierkultur jüngst von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben wurde – und das trotz Kirschen im Bier.

Lieblingsbesucher, ratlos guckend ob des Reinheitsgebotes

Aber alles halb so wild, wir haben ja jetzt Craft Beer. Die Bewegung kommt aus den USA, wo der Leidensdruck noch viel höher war. Dort haben ein paar Leute irgendwann angefangen, nach alten Rezepten zu Hause Bier zu brauchen. Und irgendwann wurde alles größer und die ersten professionellen Craft-Beer-Brauereien entstanden. Wer das jetzt alles für Hipsterquatsch für vollbarttragende tätowierte Männer in karierten Holzfällerhemden halten mag, der kann das gern tun. Oder aber einen Blick nach Franken werfen, wo man vielerorts den ganzen Industriequatsch einfach übersprungen hat, und noch immer in handwerklichen Verfahren und mit guten Zutaten hervorragendes Bier braut.  Craft Beer at its best – nur eben ohne das ganze Marketingtamtam.

Spring Beer Day im Alten Mädchen

Mittlerweile ist Craft Beer auch in Deutschland angekommen. Und zwar so mainstreamig, dass auch der letzte TV-Bier-Trinker im Supermarkt mit voller Wucht darauf gestoßen wird. Die ihm vertrauten Fernsehbiermarken haben nämlich alle längst ein für den gewöhnlichen Pilstrinker exotisches Pale Ale im Regal. Oder was sie dafür halten.

Dass die Vielfalt weitaus größer ist, hat der gestrige Spring Beer Day im Hamburger Braugasthof Altes Mädchen einmal wieder wunderbar gezeigt. Denn viele zu unrecht in Vergessenheit geratene Bierstile wie die sommerliche Berliner Weiße (natürlich die echte, mit Brettanomyces) sind mit der Craft-Beer-Bewegung wieder zurück in die Fässer und Gläser gekommen. Insgesamt präsentierten 20 Brauereien aus Deutschland und Dänemark mehr als 90 verschiedene Biere.

Besonders erfreut natürlich, dass die vertretenen lokalen Mikrobrauereien mit exzellenten Erzeugnissen aufwarten konnten. Zu meinen Favoriten zählten die Kreativbrauerei Kehrwieder (Trinkempfehlung: SHIPA Hüll Melon und Jrön), Balduin (Imperial IPA und Galaxy Ale), Circle 8 (Wit), Wildwuchs (Bock O’Range) und Hopper Bräu (Tutti Frutti – Saison mit Gurke). Hamburg kann halt mehr als Astra und Holsten.

Wer den Spring Beer Day verpasst hat, muss sich nicht grämen. Das nächste bestimmt noch superere Bier-Ereignis in Hamburg steht bereits vor der Tür. Vom 16.-18. Juni findet wieder der Craft Market in der Rindermarkthalle statt. Hier gaben sich im vergangenen Jahr einige der besten Brauereien Europas – darunter unter anderem To Øl, Pöhjalla, Lervig, Oedipus und Beavertown – die Ehre. Wer gutes Bier mag, darf sich jetzt schon freuen. Auf die Vielfalt! Prost! 🍻