Gloria

In jedem guten Café gibt es einen kleinen Tisch, auf dem Zettel mit Veranstaltungshinweisen und dergleichen ausliegen. So auch in meinem Lieblingscafé. Vor einigen Monaten entnahm ich an eben dieser Stelle ein Pappkärtchen, das ich seitdem stets bei mir trage.

Immer, wenn es mir ein wenig schlecht geht, neheme ich die Visitenkarte von Gloria Heilmann von Bergen zur Hand. Nicht dass ich ihre Dienste im Kartenlegen, Handlesen oder Besprechen je in Anspruch genommen hätte, oder gedenke, dies zu tun. Bereits die Betrachtung und das Berühren der Besuchskarte löst in mir ein wohliges Gefühl aus. Allein schon der Name: Gloria Heilmann von Bergen – er lässt Lahme hören, Blinde gehen und Taube sehen. Ja, ich glaube, diese Visitenkarte ist ein kleines Wunder, jedenfalls führt sie mich stets zuverlässig aus den kleinen Verdrießlichkeiten des Daseins. Und an Tagen mittlerer bis größerer Niedergeschlagenheit, reicht mir ein Klick auf ihre Homepage. Lachen ist immer noch die beste Therapie.

Berufe mit und ohne Zukunft

Heute saß ich bei Cappuccino und Apfelkuchen in meinem Lieblingscafé und plötzlich wurde mir eines der Probleme unserer Zeit bewusst. Es wurde mir weniger vor Augen geführt als es mir von ganz allein zu Ohren kam.

Sicher ist es nicht so gravierend wie die angeblich drohende Klimakatastrophe, welche man sich angesichts herbstlicher Temperaturen fast herbeisehnte. Immer wieder jedoch hört man Mediziner davor warnen: Die Schwerhörigket unter Jugendlichen nimmt dramatisch zu. Naheliegend wäre jetzt der Gedanke, aus dieser Tatsache Profit zu schlagen, und auf Hörgeräteakustiker umzuschulen, was eigentlich eine boomende Zunft sein müsste. Ein Berufswechsel wäre jedoch sinnlos, denn die diskotheken- und konzertgeschädigten Heranwachsenden kompensieren ihren schleichenden Gehörverlust einfach dadurch, indem sie lauter sprechen.

Zwei Fräuleins, beide Anfang zwanzig Jahre jung, sitzen im ansonsten ruhigen Café an einem Ecktisch. Ihre Köpfe sind ca. 30 Zentimeter voneinander entfernt, so dass für eine gepflegte Konversation ein gedämpfter Flüsterton ausreichen müsste, um die anderen Kaffeehausbewohner nicht von ihrer jeweiligen Lektüre abzulenken. Die beiden Damen allerdings schreien sich an. Sie schreien, ich gucke böse, sie schreien weiter, ich lege meine Zeitung aus der Hand und gucke noch böser zu ihnen herüber, und sie schreien daraufhin noch lauter. Je böser ich gucke, umso lauter schreien sie sich an. Ungewollt weiß ich nun eine Vielzahl von Details aus dem Leben der beiden Schreihälsinnen. Angefangen mit Todesfällen in der Familie, sexuellen Vorlieben, Praktika bei der Schutzpolizei, Jurastudien in Frankfurt an der Oder, Werdegängen von Nachbarsjungen bis hin zum Verlauf des Drogenentzugs entfernter Bekannter. Genauso ungewollt weiß ich jedoch nicht, was heute in der Zeitung steht.

Der wahre Beruf mit Zukunft ist wohl Logopäde, denke ich. Irgendwann werden ihre Stimmbänder das nicht mehr mitmachen.

Tischlein deck dich

Tischlein deck dich

Hamburg ist rot-orange. Überall, wohin man sieht: Jutebeutel und wallende Gewänder. Selbst mein beschauliches Wohnviertel haben sie bereits erreicht, stelle ich fest, während ich in meinem Stammcafé im Cappuccino herumrühre. Kahlköpfige Mönche posieren bereitwillig lächelnd zum Gruppenphoto und Tausende meditierende Hausfrauen aus der schwäbischen Provinz pilgern in das Tennisstadion, um vom Ozean der Weisheit zu erfahren, wie sie den Kreislauf des Leidens durchbrechen können. Beschwingt von so viel Erkenntnis erkunden sie anschließend die touristischen Attraktionen der Hansestadt. Im Wind wehen dabei unentwegt die ihnen um die Hälse hängenden Plastikschilder, als wären diese nicht bloß die Zugangsberechtigung zum Tennisplatz, sondern auch gleich die Eintrittskarte ins Nirvana.

Niemand in der Stadt aber scheint sich der in der Luft liegenden positiven Stimmung entsagen zu können. Auch mich lässt der Besuch seiner Heiligkeit, des 14. Dalai Lamas, nicht kalt. Mitgefühl empfinde ich in diesem Moment vor allem für die neben mir sitzende alleinerziehende Mutter des hyperaktiven Kleinkindes, das seit einer gefühlten halben Stunde sämtliche in greifbarer Nähe befindlichen Speisekarten, Aschenbecher sowie Salz- und Zuckerstreuer auf meinem Tisch platziert, indem er auf diesen größtmögliche Kraft ausübt. Salz- und Zuckerstreuer drohen zu zerbersten. Ich bleibe gelassen übe mich in Gelassenheit – auch ohne Meditation. Die arme Mutter muss dieses anstrengende Balg den ganzen Tag ertragen. Mitgefühl empfinde ich aber auch mit dem Jungen. Völlig unerwartet ruft die Mutter den Jungen nach einer gefühlten Stunde zur Ordnung. Er heißt Herbert. Mein Mitgefühl für die Mutter entweicht langsam, denn ich habe gelernt: kein Handeln bleibt ohne Folge [siehe auch Karma], das gilt natürlich auch für die Namensgebung des Nachwuchses.

Montagscafé

Heute ist Dienstag. Dienstage sind ganz okay, jedenfalls besser als Montage. Montage taugen nicht viel. Beenden sie doch stets viel zu kurze Wochenenden und führen einen zurück in die unvermeidliche Konfrontation mit den Unzulänglichkeiten des Alltags. Aber weder das zu früh und zu lautstark ertönende Klingelgeräusch des Weckers noch überfüllte öffentliche Verkehrsmittel, in denen transpirierende Menschen dicht an dicht gedrängt befördert werden, oder gar die Absurditäten des Arbeitslebens sind das Schlimmste am Beginn der Woche. Das Schlimmste an Montagen ist, dass mein Stammcafé seinen wöchentlichen Ruhetag einlegt.


Café du passage, montags leider geschlossen

Ausgerechnet am Montag, der sich bekanntlich viel angenehmer als verlängertes Wochenende genießen ließe, ist das geschätzte Café du passage geschlossen. Nicht dass ich den Besitzern sowie dem freundlichen Personal einen wohlverdienten Ruhetag nicht gönnte, haben sie ihn sich doch durch den engagierte Betrieb der charmanten Großstadtoase redlich verdient. Es ist vielmehr so, dass mir der Entzug nicht bekommt.