Warteschlangengeschichten Teil 12: Impfung gegen Schweinegrippe

Mein Impfpass
Mein Impfpass

Im vornehmen Hamburger Stadtteil Eppendorf heißt das Gesundheitsamt nicht „Gesundheitsamt“, sondern „Gesundheitshaus“. Dass es sich jedoch eindeutig um ein Amt handelt, wird bereits beim Betreten des Gebäudes klar. In deutlichen Worten wird man aufgefordert, ein Formular auszufüllen und sich mit diesem in den 4. Stock zu begeben.

Nach ein paar Tagen der effektiven Panikmache vor der großen Schweinegrippe-Pandemie durch die lokale Presse, haben sich zahlreiche Angehörige der bekannten Risikogruppen eingefunden, um sich den aus Bruchteilen von Virenhüllen von in bebrüteten Hühnereiern gezüchteten Viren (Teilpartikelimpfstoff) hergestellten Wirkstoff mit Wirkverstärker in den Oberarm injizieren zu lassen.

Rollatoren versperren die schmalen Gänge und in der Warteschlange herrscht Zweiklassenmedizin: ein Teil der Wartenden darf auf harten Stühlen sitzen, der später dazugekommene Teil muss stehen. Anfangs steht man noch vor dem Zimmer mit der Aufschrift „Beratungszentrum sehen-hören-bewegen-sprechen Abschnitt Sprechen“. Wohl dem, der seinen Rollator zum Notsitz umfunktionieren kann. Alle paar Minuten wird panikartig aufgerückt, was ein wenig an das Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“ erinnert. Irgendwann hat man sich über den „Abschnitt Bewegen“ bis zu einem der drei Impfzimmer vorgewartet.

In der Warteschlange erzählt man sich lustige Impfgeschichten aus den 70er Jahren, als man noch im Rahmen einer großangelegten Impfaktion in der Sporthalle geimpft wurde, und natürlich fällt auch das unvermeidliche „die einen Ärzte sagen so, die anderen so“ darf nicht fehlen. Ein gnatternder Rentner kommt herein, der beim Anblick der langen Warteschlange fragt, ob wir in der Ukraine seien. Ich verneine und der Rentner zieht ohne H1N1-Schutz von dannen. Das ist nicht weiter schlimm, denn der Impfstoff ist ein knappes Gut.

„Der Nächste, bitte.“ Nach gut einer halben Stunde Wartezeit bin ich an der Reihe. Die Amtsärztin ist unfreundlich und moniert in harschem Ton bei ihren Helferinnen nichtaufgezogene Spritzen und ungestempelte Impfpässe. Ob sie denn alles alleine machen müsse. Ich habe ein bißchen Mitleid mit ihr; einen so großen Ansturm auf ihre Dienste ist sie wahrscheinlich nicht gewohnt. Möglicherweise ist sie aber auch nur frustriert, weil die Bewerbung auf ihre Traumstelle im Justizvollzug oder auf dem Kreiswehrersatzamt keinen Erfolg hatte. Ein kurzer Pieks und alles ist vorbei. Jetzt beginnt das Warten auf die befürchteten Nebenwirkungen. Zum Glück ganz ohne Schlangestehen und -sitzen.

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Nachtrag: Da das Interesse groß zu sein scheint, hier ein paar Worte zu den bei mir aufgetretenen Nebenwirkungen.

10 Stunden nach der Impfung: leichter Schmerz an der Einstichstelle (etwa muskelkaterähnlich), leichte Kopfschmerzen, etwas Schüttelfrost; insgesamt nichts Besorgniserregendes.

20 Stunden danach: Schmerzen um die Einstichstelle herum und beim Heben des Arms. Alles erträglich.

36 Stunden danach: Nur noch leichte Schmerzen im Arm, klingen ab. Das war’s wohl.

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Die Impfgeschichten der anderen:

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Lungenentzündung


Das Wohlbefinden des Autors verhält sich genau entgegengesetzt zur Umsatzentwicklung seines Apothekers.

Eine der vielen Erkenntnisse, die ich aus meiner Zivildienstzeit mitgenommen habe, waren die Worte des alten Grantlers, der so stark an Asthma litt, dass er jeweils nach zwei Schritten des Gehens eine fünfminütige Atempause einlegen musste: „Weißt Du was, bosch“, verriet er mir eines Tages, als er wieder einmal nach Luft rang, „keine Luft mehr kriegen ist schlechter als kein Geld mehr haben.“

An diese weisen Worte denkend, tauschte ich nach Konsultation meiner Hausärztin, die ebenfalls mit aufmunternden Weisheiten nicht geizte („Seien Sie froh, dass Sie noch jung sind und ein kräftiges Immunsystem haben. Als alter Mensch wären Sie nun vielleicht gestorben.“), in der Apotheke meines Vertrauens einen dreistelligen Betrag gegen die modernen Errungenschaften der Pharmaindustrie ein.

Mein Lieblingsmedikament ist Seretide, das in einer formschönen Verpackung namens „Diskus“ dargereicht wird. Bei näherer Betrachtung erschließt sich sofort, warum dieses Mittelchen mit weit über 70 EUR zu Buche schlägt – es handelt sich um ein kleines Designwunderwerk, das den Vergleich mit keinem Parfümflakon zu scheuen braucht. 80% der Kosten werden vermutlich direkt an den Entwickler der Verpackung weitergeleitet. In der Bedienungsanleitung heißt es: „Wenn Sie Ihren Seretide 50 µg/250 µg zum ersten Mal aus der Faltschachtel nehmen, ist er in geschlossener Stellung. Der Diskus erhält innen einen Blisterstreifen, der in Blisternäpfen Seretide als einzeldosiertes Pulver enthält. Am Diskus befindet sich ein Zählwerk, das Ihnen zeigt, wie viele Einzeldosen noch übrig sind. Es zählt bis 0 und die Zahlen 5 bis 0 erscheinen in ROT, um Sie darauf hinzuweisen, dass nu noch ein paar Einzeldosen übrig sind. Wenn das Zählwerk eine 0 anzeigt, ist Ih Inhalationsgerät leer (ist das Pulver aufgebraucht).“ Die Anwendung ist zwar simpel, wird aber in der Gebrauchsinformation des Herstellers höchstkompliziert erklärt.

Heute sterben Menschen mit einer Pneumonie nicht mehr an fehlenden Behandlungsmethoden, sondern womöglich nur noch an mangelndem Verständnis von Inhalationsgerätsgebrauchsanweisungen. Das ist dann medizinischer Fortschritt.

Blümeranz

DruckverbandBlümerant ist ein so wunderschönes Wort. Es ist eine Eindeutschung aus dem Französischen und bedeutet soviel wie bleu mourant, also sterbendes (blasses) Blau. Umgangssprachlich bedeutet es flau, unwohl, übel (ein -es Gefühl; mir ist ganz b. [zumute]) und ist leider vom Aussterben bedroht. Alleine deswegen wollte ich schon immer einen Beitrag schreiben, in dem es vorkommt, leider fiel mir bisher kein passender Kontext ein.

Seit heute ist es aber anders. Ich war gerade bei der Blutspende. Das ist normalerweise eine komplikationsfreie Angelegenheit. Man geht ins Krankenhaus, füllt einen Fragebogen aus, lässt sich einen halben Liter der roten Flüssigkeit aus den Adern zapfen und erhält anschließend als Aufwandsentschädigung eine überschaubare Menge Bargeld sowie ein gesundes Frühstück in Form eines Käsebrötchens, einer Knackwurst und eines Apfels. Ganz nebenbei tut man noch ein gutes Werk, indem man sein Blut denen spendet, die es gerade nötiger brauchen, und bereits nach kurzer Zeit gleicht der eigene Körper wie ein Wunder der Natur die fehlenden Zellen von allein wieder aus.

Fieberträume

FieberthermometerIm Moment habe ich das Gefühl, für die globale Erwärmung weitestgehend allein verantwortlich zu sein. Nicht die Abgase der Porsche Cayennes der Reichen und Schönen, sondern ausschließlich die unablässige Wärmeabstrahlung meines Leibes scheint unsere Mutter Erde geradewegs in eine verheerende Klimakatastrophe zu treiben. Seit nunmehr drei Tagen hüte ich geplagt von Fieber das Bett und gebe dabei kontinuierlich Wärme an die Atmosphäre ab. Den winzigen Rest meiner noch nicht verdampften Aufmerksamkeit fokussiere ich in Ermangelung vergleichbar anspruchloser Aktivitäten auf die Unterhaltungsform, die heute landläufig als Unterschichtenfernsehen bezeichnet wird.

Barbara Salesch wird auch nicht jünger, denke ich. Täglich zu verhandelnde Vergewaltigungs- und Tötungsdelikte von 14jährigen, die dieser Altersgruppe im wahrsten Sinne des Wortes in Fleisch und Blut übergegangen sind, haben in ihrem Gesicht unvermeidliche Spuren hinterlassen. Weitergeschaltet zu Britts Frühnachmittagstalkshow muss ich feststellen, dass offensichtlich alle anderen Jugendlichen, die gerade nicht als Angeklagte vor der Amtsrichterin stehen, sich mit ihren Sexualpartnern vor laufender Kamera über den Nachweis von Vaterschaften streiten. Im Fließbandtempo verkündigt die blondgefärbte Moderatorin Ergebnisse von genetischen Analysen nach internationalen Standards und scheint hierfür mittlerweile die Kapazitäten eines gesamten Labors für ihre Sendung zu beanspruchen. Die etwas älteren Semester unter den Heranwachsenden lassen entweder mal wieder bei Big Brother die Hosen runter oder zeigen dem interessierten Publikum, wie sie ihre Liebsten mit selbstzusammengerührten und -erhitzten kulinarischen Köstlichkeiten betören, obwohl ihren Körpern auf den ersten Blick anzusehen ist, dass sie sich normalerweise überwiegend von Fastfood ernähren. Die noch Übriggebliebenen lassen währenddessen gerade ihre unlösbar erscheinenden Probleme von einer vertrauensvollen Psychologin an einem Stehtisch klären. Manche lassen auch von Privatsendern ihre Sozialwohnungen renovieren, was dann stets mit rosa- oder lindgrüngestrichenen Wänden endet, oder sie zeigen der Welt, wie sie mit Kind und Kegel in eine solche Behausung umziehen, die dann in der Regel allerdings noch nicht frisch gestrichen ist. Beim Umzug geht mehrheitlich alles glatt. Schließlich gibt es in den Haushalten, die hier vorgeführt werden, kaum Bücher, von denen man zu viele in eine wenig stabile Kiste packen könnte.