Kaffeehausmusik

Hinter der Musik,
totes Kapital.
Warten auf den Kick,
bring das Ding nochmal.

(Jochen Distelmeyer)

Wer kennt das nicht? Man setzt sich ins Café und erfreut sich am Espresso. Frisch gemahlene Bohnen, professionelle Zubereitung mit der großen glänzenden Handhebelmaschine, die dickwändige Tasse ist vorgeheizt und die Crema perfekt. Doch plötzlich ertönt aus den Lautsprechern sogenannte Musik und man fragt sich, wieso nicht alles so gut sein kann wie Kaffee, und warum – wo es doch mittlerweile für jegliche Petitesse professonelle Unterstützung gibt – keine Kaffeehausmusikberater zur Stelle sind. Mit Blick hierauf ein offener Brief von mir:

Liebe Gastronomen,

folgende Langspielplatten wollen wir in Euren Räumlichkeiten nie wieder hören:

  1. Yann Tiersen – Die fabelhafte Amélie [OST] (in französischen Cafés.)
  2. Buena Vista Social Club – Buena Vista Social Club [OST] (in kubanischen Bars)
  3. Peter Fox – Stadtaffe (in Berlin – und in der Provinz)
  4. Nouvelle Vague – Nouvelle Vague (in „Lounges“)
  5. Norah Jones – Norah Jones (in Jazz-Cafés)
  6. Jack Johnson – Jack Johnson (in künstlichen Strandbars)
  7. Diverse – Sommer vorm Balkon [OST] (in Prenzlauer Berg und Städten mit Schlagermove)
  8. Wir sind Helden – Die Reklamation (und alle anderen Platten, überall)
  9. Paul Kalkbrenner – Berlin Calling [OST] (in Cafés von psychiatrischen Kliniken)
  10. Györgi Ligeti – Poème Symphonique für 100 Metronome (in Cafés, in den man nur FAZ und NZZ lesen darf)

Wenn Sie sich nicht sicher sind: Vermeiden Sie grundsätzlich Soundtracks und Alben, die heißen wie der Künstler selbst.

Vielen Dank.

Ihr bosch

Dekorativer Eispickel

Über die zufällige Wahl seines Platzes in dem Café, das er nur gelegentlich zu besuchen pflegte, war er sehr froh gewesen. Stundenlang hätte er der Frau gegenüber beim Trinken ihres Pfefferminztees zuschauen können. Obwohl sie noch jung war, ergraute ihr ansonsten dunkles Haar an einigen Stellen bereits im Ansatz. Man bemerkte dies jedoch nur, wenn man ganz genau hinsah. Ihm gefiel das dezente Frühergrauen, denn es erinnerte ihn an eine Dame, in die er vor langer Zeit einmal verliebt gewesen war.

Wie üblich blätterte er, während er seinen Cappuccino genoss, in der Zeitung. Sein Blick wanderte dabei  unwillkürlich immer wieder zu der Frau gegenüber. Ihr schien das nicht unangenehm zu sein. Wenn sich ihre Blicke trafen, lächelten sie einander etwas verlegen zu, um sogleich wieder abzuschweifen. Dies geschah mehrmals hintereinander — eine Flirtsituation war eingetreten.

Als er jedoch unerwartet bei seiner Zeitungslektüre in einer Reportage über den schleichenden Niedergang des Kreiswehrersatzamtes im oberbayerischen Traunstein über die Wortkombination „dekorativer Eispickel“ stolperte, war er so verstört, dass er daraufhin seine Zeitung zusammenfaltete und das Café umgehend verließ.

Cappuccino

„Das Schönste an München ist
der Rückflug nach Hamburg.“

(Helmut Schmidt)

Plötzlich sitzt man nicht mehr in seinem geliebten französischen Café in Hamburg-Winterhude, sondern steht in einer italienischen Bar in Berlin-Kreuzberg. Hier wie da blättere ich in der Zeitung und erfreue mich auf Seite drei an einer Reportage über den Hamburger Schriftsteller Uwe Timm, in dessen bekannter Novelle einst zufällig die Currywurst entdeckt wurde.

Der Schriftsteller berichtet von seiner Hassliebe zur Hansestadt, die mit ihrer bürgerlichen Großkotzigkeit immer mehr Metropole sein möchte, als sie tatsächlich ist, und seiner Zuneigung zu München, wo immerzu die Sonne scheint. Berlin hingegen ist einfach nur da – egal.

Ich schlürfe an meinem noch heißen Cappuccino, beiße in mein üppig mit Schinken und Käse belgtes Panino und lächle ein in mich gekehrtes Lächeln. Ich blicke aus dem Fenster, hänge ein wenig den Gedanken nach und zahle passend. Ciao. Tschüs.

Sankt Oberholz

Gaststätte Sankt Oberholz, Berlin-Mitte

„Das Central ist nämlich kein Caféhaus wie andere
Caféhäuser, sondern eine Weltanschauung (…) Seine
Bewohner sind größtenteils Leute, deren Menschenfeindlichkeit
so heftig ist wie ihr Verlangen nach Menschen, die allein sein wollen,
aber dazu Gesellschaft brauchen (…) Die Gäste des Central kennen,
lieben und gering schätzen einander (…) Es gibt Schaffende, denen nur
im Central nichts einfällt, überall anderswo weit weniger (…)“

(Alfred Polgar, Theorie des Café Central)

Naturgemäß ist es eine Illusion, zu denken, man könne samstagsnachmittags ins Sankt Oberholz gehen, um ein bißchen zu arbeiten. Zwischen all den backpackenden Touristengruppen ist kein klarer Gedanke zu fassen – nicht einmal ein ganz einfacher. Flüchtig bekannte Gesichter werden vom fahlen Licht der Hintergrundbeleuchtung ihrer mobilen Rechner angestrahlt. Es sind lediglich die am Wochenende verschlossenen Türen unserer Büros und die Einsamkeit an unseren Schreibtischen zuhause, die uns heute an diesen Ort treiben.

Und während ich Zucker in meinen Espresso rühre, frage ich mich, wie es Alfred Polgar ergangen wäre, hätte man seinen Apfelstrudel durch öffentliches WLAN ersetzt.

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