Stiller Raum

„Die Welt dreht sich weiter für dich und für mich.
Nur, wo heute Nacht und Schatten sind,
war gestern noch Licht.“

(Rio Reiser, Stiller Raum)

Ein S-Bahnhof im Nordwesten Berlins. An einem Sonntag im Januar stehe ich hier und warte: Es ist sehr kalt, aber ich friere nicht. Wie so oft in diesen Tagen kommt es „witterungsbedingt“ zu Zugausfällen. Gleich werden wir zum ersten Mal gemeinsam einen Tatort schauen. Die Bahn kommt nicht und ich nehme ein Taxi. Ihr werde ich sagen, dass ich die Leiche nicht verpassen wollte, aber vor allem wollte ich schnell zu ihr. Nach dem Tatort gehe ich nach Hause. Irgendwann muss man schließlich schlafen.

Es folgen: viele Tatorte, großes Glück und Fehler, die ich nicht wieder gutmachen kann.

An einem Sonntag im Dezember stehe ich wieder am selben Bahnhof und warte: In den Ohren ein Lied, dessen Text man in stärkeren Stunden leicht als Kitsch abtun könnte, doch das wird ihm nicht gerecht. Kein anderes vermag es, diesen Moment besser einzufangen als Rio Reisers „Stiller Raum“. So einfach, so schön, so traurig. Mein Zug kommt nicht. Es ist kalt, ich friere.

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Rio ReiserStiller Raum

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Dies ist ein Beitrag aus meiner Serie “Der Soundtrack meines Lebens”. Weitere Beiträge dazu finden sich hier.

Hello It’s Me

„I’m sorry that I doubted your good heart
things always seem to end before they start.“
(Lou Reed, Hello It’s Me)

Im April 1990 erschien das Album „Songs for Drella“ eine Hommage an Andy Warhol. Seit 1972 hatten John Cale und Lou Reed, beide ehemalige Mitglieder von The Velvet Underground keine Musik mehr zusammen gemacht und nun dieses wunderbare Konzeptalbum.

Irgendwann im Leben verändert sich die Musik, die man mag, wohl nicht mehr allzu stark. Damals allerdings war ich noch sehr auf der Suche. In der städtischen Bücherei konnte man die aktuellen Ausgaben des Musikexpress und der Rolling Stone einsehen, wovon ich ausgiebig Gebrauch machte. Der örtliche Plattenhändler hieß „Zapp Records“ und der Verkäufer Elvis. Er machte einen zumeist zugedröhnten Eindruck und wie alle Plattenhändler schien er nicht seinen Job, wohl aber seine Kunden zu hassen. Bestellungen nahm er nur widerwillig entgegen, umso größer war die Freude, wenn ein gesuchtes Album tatsächlich einmal verfügbar war: so auch in diesem Falle.

Obwohl lediglich eine vage Ahnung von Warhol und der Factory hatte, habe ich diese Platte damals rauf und runter gehört: melancholisch und poetisch ist das Werk; eine Geige ist dabei, aber trotzdem kein Kitsch. Besonders geliebt habe ich „Hello It’s Me“. Soeben zufällig wiederentdeckt, bekomme ich noch immer eine Gänsehaut, wenn ich dieses Stück höre. Damals habe ich mir vorgestellt, dass das Lied einmal auf meiner Beerdigung gespielt werden solle. Einige Teilnahmen später glaube ich jedoch, dass Musik aus der Konserve die Stimmung bei derartigen Anlässen auch nicht sonderlich hebt.

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Dies ist ein Beitrag aus meiner Serie “Der Soundtrack meines Lebens”. Weitere Beiträge dazu finden sich hier.

Traurige Lieder

Nebenan sitzt eine Frau und singt traurige Lieder. Ich habe sie nur einmal gesehen. Sie sah gar nicht traurig aus und wirkte auch überhaupt nicht so – man sieht es den Menschen nicht an. Mehrfach am Tag greift sie zu ihrer Gitarre und singt dazu. Immer nur für ein paar Minuten, nicht leise. Ihre Texte kann ich nicht verstehen, doch die Melancholie ihrer Stimme dringt durch die Wände. Sie singt mit Inbrunst.

Erdmöbel 17.09.2010 im Lido: Ein Hauch von Petersilie

Das neue Album „Krokus“ ist ganz wunderbar. Nicht zum ersten Mal überschlagen sich die Kritiker mit Lob – zurecht. Freitagabend, Konzert, Lido, Kreuzberg. Türsteher: „Nimm mal die Mütze ab, ich muss da mal druntergucken.“ Ich nehme die Mütze ab. Türsteher (harsch): „Das sind professionelle Ohren. Mit denen kommst Du hier nicht rein. Du musst sie an der Kasse abgeben.“ Ob es keine andere Möglichkeit gebe, frage ich. „Du hättest Dich akkreditieren können.“ „Gut, dann mache ich das“, antworte ich. „Das ging nur bis gestern.“ Ohne meine professionellen Ohren betrete ich den Konzertsaal.

Plakat

Fast so war es. Nur meine Ohren sind meine Kamera. Sie wird einkassiert – obwohl Plattencover und Bühnenbild groß eine alte Leica zieren. Aber wozu auch Fotos von Konzerten machen? „Take it in your heart, instead of taking pictures“, antwortet mir jemand, nachdem ich mich auf Twitter über die Politik des Clubs ärgerte. Die Kölner Band betritt die Bühne,  der erste Basslauf, mein Ärger löst sich auf.

„Petersilie“, raunt Texter und Sänger Markus Berges ins Mikrofon, aber nichts passiert. „Es soll Frauen geben, die brechen von ihren Gefühlen überwältigt vor der Bühne zusammen, wenn der kleine Mann mit der großen Brille das Wort »Petersilie« raunt“, stand am Morgen in einer Berliner Lokalzeitung. Niemand aus dem Publikum hat anscheinend die Zeitung an diesem Tag gelesen – oder der Sänger hat nicht genug geraunt.

Alles Neue und ein bißchen Altes wird in gut zwei Stunden zu Gehör gebracht. „Es ist ein Pianoalbum geworden“, behauptet der Sänger. Nicht ganz, denn Krokus ist tatsächlich auch ein Bass-, Schlagzeug-, Posaunen-, Gesangs- und Lyrikalbum. Alles hat seinen Platz, Musik und Text bilden eine Einheit. Und so erfreuen wir uns auch auf dem achten Album nicht nur an grünen Küchenkräuter, sondern auch über andere ungewöhnliche Worte wie „Silageplane“, „Bierbike“ und „Hygienemuseum“, die sich harmonisch zu „Dreierbahn“, „Drehcafé“ und „Raststättengaststätte“ gesellen. Unzählige kleine, liebevoll ausgfeilte Melodiefragmente bleiben uns im Ohr hängen. Auch auf dem neuesten Werk gibt es bei jedem Hören wieder neue Details zu entdecken.

Noch wackeln manche der neuen Lieder in den ersten Takten ein wenig. Das macht nichts, denn auch sie haben das Zeug schon bald zu Klassikern zu gehören. Befreit von der Konserve werden sie dann auch in neuem Glanz erstrahlen wie das „Vergnügungslokal mit Weinzwang“ von „Altes Gasthaus Love“ oder „Leben ist trivial“ vom Debutalbum „Das Ende der Diät“.

Zwischendurch immer wieder etwas geraunte Petersilie. Das Publikum mag das sehr – genau wie die neuen Krokusse. „Ihre Lieder sind anders“, hieß ein vor fünf Jahren erschienenes Hildegard-Knef-Coveralbum, auf dem auch die Erdmöbel vertreten waren. Aber vor allem ihre Lieder sind anders, also ganz anders als alles andere. „Wir waren sehr nervös. Schließlich ist es ein großes Risiko am Erscheinungstag der Platte alle neuen Lieder im Konzert zu spielen“, erzählte mir der Bassist Ekimas nach dem Konzert. Es ist gelungen.

Berlin wird die Erdmöbel schon bald wiederhören können –  bereits am 18.10.2010 spielen sie im Babylon zur Lesung von Markus Berges erstem Roman „Ein langer Brief an September Nowak“. Aber auch durch den Rest der Republik wird dann getourt. Geht hin!

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