„Ich möchte den Totenkopf des Mannes
streicheln, der die Ferien erfunden hat.“
Ich sitze in dem Café mit den großen Fensterscheiben, als eine Bekannte ihr kaputtes Fahrrad vorbeischiebt. Wir winken einander zu, sie kommt herein und setzt sich zu mir. Alsbald erzählt sie mir von den Vorzügen des Reisens: drei Wochen weilte die Bekannte gerade ohne Spanischkenntnisse allein in Kolumbien. Ein wenig bewundere ich sie für ihren Unternehmungsgeist.
Für mich spielte das Reisen nie eine besonders große Rolle: In meiner Kindheit war es aus familiären Gründen nicht möglich, später hat es sich mir nie wirklich erschlossen. Ganz im Gegenteil: Wenn ich ganz neu an einem Ort ankomme, verspüre ich so etwas wie einen Ortswechselschock – eine Art innere Unruhe. Diese hält in der Regel mehrere Tage an, bis ich mich mit meiner neuen Umgebung vertraut gemacht habe. Erst wenn ich weiß, wo es das Frühstück, einen guten Kaffee und eine Tageszeitung gibt, wie der öffentliche Nahverkehr am Urlaubsort funktioniert, oder wo ich einen Internetzugang habe, etc., kann ich langsam damit beginnen, mich ein wenig zu entspannen. Meistens ist dann aber der gebuchte Urlaub bereits wieder vorbei. Insbesondere Rundreisen wären für mich daher völlig undenkbar.
Die Bekannte fragt mich, wohin meine bislang weiteste Reise ging. Ich tue, als müsse ich nachdenken, dabei habe ich Europa nie verlassen: Vor vielen Jahren weilte ich einmal im Januar für zehn Tage auf Fuerteventura. Allerdings handelte es sich um eine eher unfreiwillige Reise zu einer Art Tagung.
„Fahr doch mal ein paar Tage weg, entspanne dich“, lautet häufiger der gutgemeinte Rat von Freunden. Aber was soll schon woanders anders sein – von der Räumlichen Umgebung einmal abgesehen? Ich kann das nicht; lieber bleibe ich ein paar Tage in Hamburg oder Berlin, vertrödele den Tag im vertraueten Umfeld, gehe dort frühstücken, wo es den besten Käse und den leckersten Cappuccino gibt, und anschließend vielleicht in eine Ausstellung. Alles Dinge, die ich an einem Urlaubsort womöglich auch täte – nur ohne ein gezwungenes Wegfahren um des Ortswechsels willen. Und vor allem ohne Ortswechselschock.
Nur sehr wenige Male hat man es in den letzten Jahren geschafft, mich zu einer Urlaubsreise zu bewegen: nach Rügen, Madeira und sogar nach Bayern. Erst einmal am Ziel angekommen, war es dann auch immer ganz schön. – Allerdings war dies sicher auch immer ein großes Stück weit der angenehmen vertrauten Begleitung geschuldet. (Selbst die reiselustige Bekannte gab zu, dass das Alleinreisen für sie kein Ideal sei.)
Warum diese langweilige Reisegeschichte aufschreibe? Das obige Foto habe ich zufällig gerade auf meinem Rechner wiedergefunden – ich wollte es gern veröffentlichen, aber nicht so ganz für sich allein stehen lassen.