Samstag und Sonntag: Zustand nach Party. Viel zu spät und zu wenig geschlafen, vor allem aber zu schlecht. Mangelnde Schlafhygiene würde mein Arzt dazu sagen. Draußen ist tiefster Winter. Im Zimmer ist es mal zu kalt und mal zu warm. Ich drehe den Temperaturregler herauf, schwitze, lüfte, drehe ihn herunter, friere etc. Ich sitze auf dem Sofa und schaue einen Film. So ein Sofa ist eine gute Sache, wenn man sonst kaum Freude hat im Leben, denke ich mir. Musik: Morrissey und Blumfeld: Verstärker. „Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.“ Mozarts Requiem wäre jetzt schön, klassische Musik fördert jedoch die Unzulänglichkeit digitaler Komprimierungsprozesse zu stark zu Tage. Wenn auch nur zum Teil von Mozart ersonnen, zeigt dieses Werk (KV 626) doch ganz besonders, dass der für seine leichte Kost bekannte Komponist zur größten Ernsthaftigkeit im Stande war. Darüber nachdenkend, ob der Humor bei Thomas Bernhard oder Heino Jaeger einer innerlichen Tragik entwachsen ist, fahre ich fort, den Heizkörper zu bändigen. Sonntagabend, während des furchtbar langweiligen Kölner Tatorts fällt mir ein, dass ich seit zwei Tagen keinen Fuß aus dem Zimmer gesetzt und auch nichts gegessen habe. Dann beiße ich in einen sehr vitaminarmen grünen Apfel, der sicher nichts weiter mit meinem Körper tut, als meinen Zahnschmelz zu zersetzen. Es ist die vollkommene Desolation.
Schlagwort: Party
Freitag zwei Feiern. Party 1: Zunächst die Weihnachtsfeier einer Agentur in einer Bar im Osten der Hauptstadt. Der spröde Charme der sozialistischen Architektur, in deren Umfeld das gemäßigte Spektakel stattfindet, ist abstoßend und anziehend zugleich. Bei Flying Buffets hat man anfangs immer etwas Angst, nicht genug abzubekommen – die Erfahrung hat einen indes gelehrt, dass man am Ende immer satt wird. Mit „man“ meine ich natürlich „ich“, denn schließlich ist Buffetgier allgemein nicht sonderlich anerkannt. Aus den Lautsprechern tönt launige Musik, die zum Tanzen einlädt. Ich bleibe jedoch Eckensteher (wenngleich ich mich gegen ein gelegentliches Beinzucken nicht erwehren kann), obwohl im Laufe des Abends auch härtere alkoholische Getränke zum Ausschank freigegeben werden. Auch die dem Tanze zugeneigteren Gäste machen von dieser Möglichkeit nur sparsam Gebrauch. Ich überlege, ob ich jemand Bestimmtes Anrufen, eine SMS, eine Twitter-Nachricht, eine Mail oder einen Facebook-Anstupser senden soll, fühle mich dafür allerdings nicht betrunken genug. Rechtzeitig bin ich auf Wasser umgestiegen, denn auf dieser Veranstaltung bin ich nicht nur Gast, sondern auch als Fotograf engagiert. Obwohl ich nicht allzu gern Menschen fotografiere, ist es in diesem Falle eine eher angenehme Rolle: teilnehmende Beobachtung. Man schweift umher und die Kamera in der Hand gibt einem die Gelegenheit, sich unliebsamen Gesprächssitationen elegant zu entziehen. Schließlich müsse man „arbeiten“. Die Lichtsituation ist natürlich schwierig, aber auf welche Situation träfe das nicht zu? Gegen 3 Uhr Aufbruch.
Party 2: Taxifahrt nach Prenzlauer Berg, Alkoholbesorgung beim Spätkauf. Letzteres lediglich als Alibi: ein Sixpack Bier ist nicht viel für drei Personen, aber so stehen wir wenigstens nicht mit leeren Händen da. Die Treppe: unzählige Stufen, zwei Hübe Salbutamol machen den Aufstieg erst möglich. Wir erreichen die mondäne Wohnung mit großzügiger Dachterasse, die allerdings aus Schneematschgründen keinesfalls betreten werden soll. Ich bin langsam komplett nüchtern. Das ist keine gute Voraussetzung für eine bereits so weit fortgeschrittene Party. Man findet sich ohnehin schlecht ein, wenn der Zenit bereits überschritten ist. Junge Mädchen im zarten Führerscheinalter (Klasse III) küssen ausgelassen Männer, die ihre Väter sein könnten, wenn diese rechtzeitig mit der Nachwuchsförderung begonnen hätten. Mir wird vorgeworfen, griesgrämig dreinzuschauen, was sicher zutreffend ist. Ich bin zu nüchtern für diese Veranstaltung und fühle mich weder alt noch erfolgreich genug, um mit fünfzehn Jahre jüngeren Frauen anzubandeln. Ich trinke ein Glas Spezi, obwohl noch reichlich Alkoholika vorhanden sind. Nur 900 m entfernt wohnt die Frau, die ich liebe. Ich schreibe ihr noch immer keine SMS, weil ich weiß, dass es keinen Sinn hat, und ich mich tags darauf sicher darüber ärgerte. Ich frage mich, was sie wohl gerade macht, trinke ein weiteres Glas Spezi und manipuliere die Playlist, während zwei Mädchen miteinander im Schlafzimmer verschwinden und die anderen reihum einander ihre Zungen in den Hals stecken. Die Musiksammlung auf der Festplatte entspricht nicht meinem Geschmack und ich komme mir deplaziert vor. Gegen 6 Uhr Aufbruch: Schienenersatzverkehr.
Dieses Mal kein Bleigießen mit befreundeten Pärchen, an deren Tisch er für eine ungerade Gästezahl gesorgt hätte. Stattdessen verbrachte er den Jahreswechsel allein mit seinem Fotoapparat auf einer Party mit 2000 Menschen. Normalerweise fotografierte er die Tristesse der Großstadt, an diesem Abend jedoch widmete sich sein Objektiv lächelnden Gesichtern. Fröhlich feierten sie vor sich hin; sie hatten einen stattlichen Eintrittspreis bezahlt — für sie musste es die Party des Jahres werden.
Er hingegen musste nur draufhalten, was mit zunehmendem Alkoholgenuss im Laufe des Abends immer leichter fiel. „Ich bring‘ dich ganz groß raus“, hatte er im Spaß zu den Attraktiveren gesagt. Bei einigen von ihnen war er sich jedoch nicht sicher, ob sie die Ironie, die in seinen Worten mitschwang, zu verstehen vermochten.
00:00:00 Uhr, man schrieb jetzt das Jahr 2010: draußen ein Feuerwerk, neben ihm ein zögerliches Knallen von Schaumweinkorken. Die Menschen um ihn herum fielen einander plötzlich in die Arme, nur er stand ganz einsam mit seiner Kamera da.
Wenngleich auch seine Beschreibung dieses Abends etwas melancholisch klang, so wäre die Behauptung, er hätte gar keinen Spaß gehabt, unzutreffend gewesen. Schließlich hatte er viel weniger auszustehen als die jungen Damen, die an der Garderobe unermüdlich gegen das Chaos kämpften.