Immer wenn ich im Sankt Oberholz am Rosenthaler Platz, Berlin, meine Notdurft verrichte, denke ich an einen Swimming Pool. Weniger, weil ich als Kind gern in Nichtschwimmerbecken gepinkelt habe, was ich nie tat, sondern weil aus den Lautsprechern der mit sanitären Einrichtungen ausgestatteten Räumlichkeiten stets ein Hörspiel ertönt. Dies ist zwar in der Regel angenehm, verlängert aber gemeinhin meinen dortigen Aufenthalt nie länger als unbedingt nötig.
Warum nun aber diese eigenartige Konditionierung? In Zeiten des öffentlich-rechtlichen Depublikationsunwesens bereichert uns ausgerechnet die bayerische Rundfunksendeanstalt mit akustischen Perlen ungeahnten Ausmaßes: Lange über die ansonsten üblichen sieben Tage hinaus, beglückt uns Bayern 2 mit dem sogenannten „Hörspiel Pool“ in Form eines dauerhaft kostenlos herunterladbaren Podcastangebotes.
Hier finden sich keine von stumpfsinnigen Schauspielern unmotiviert abgelesene Romanfragmente, sondern größtenteils liebevoll bearbeitete Klangkunstwerke, die es anzuhören lohnenswert ist. Erfreuen auch Sie sich an Kafkas Process, Daths Abschaffung der Arten oder Goetz‘ Loslabern etc.
Und wenn Sie das nächste Mal in besagtem Café die Keramikabteilung besuchen, denken auch Sie an den Pawlowschen Pool.
Es gehört zu meinen Pflichten
Schönes zu vernichten. –
Als Musikkritiker.
(Georg Kreisler)
Schon damals in der Bar war ihm das Erscheinen des Musikkritikers suspekt. Zwar wurden sie einander nie vorgestellt, doch erkannte er den Musikkritiker sofort. Ein paar Wochen später begegneten sie sich zufällig auf der Straße. Ganz nah gingen sie aneinander vorbei – fast konnten sie gegenseitig ihren Atem spüren. Der Musikkritiker wusste vermutlich nicht, wer er war. Obwohl er noch nie in seinem Leben die Hand gegen irgendjemanden erhob, hätte er dem Musikkritiker damals am liebsten so richtig eins auf die Fresse gehauen.
Er musizierte zwar nur leidlich und der Musikkritiker hat nie auch nur einen Ton von ihm gehört, geschweige denn ein Wort über ihn geschrieben. Trotzdem glaubte er, gute Gründe gehabt zu haben, den Musikkritiker zu verprügeln. Noch lange danach, meistens dienstags, bereute er ein wenig die verpasste Chance. Geändert hätte es damals aber auch nichts. – Zumindest nicht zum Guten.
“Es hat keinen Sinn zu warten bis es besser wird,
das bißchen besser wär das Warten nicht wert“ (Die Sterne)
Mein rechter Arm schmerzt. Es ist kein unerträglicher Schmerz, der mich sofort in das überfüllte Wartezimmer eines Facharztes für Schmerztherapie treibt, sondern mehr ein unangenehmes Ziehen beim Strecken und Beugen. Auf einer Schmerzskala von 1-10 vielleicht eher eine 5-6. Stunden des Tages verbringe ich in krummer Haltung vor einer Tastatur, trage in meiner Freizeit leidenschaftlich gern eine viel zu schwere Kameraausrüstung mit mir herum und des Nachts habe ich mir eine Schlafhaltung angewöhnt, bei der die Hand unter meinem Kopf liegt, was zu einem starken Abknicken des Armes führt. Auch ohne Ausübung eines Rückschlagspiels sind dies allerbeste Voraussetzungen für das Gedeihen eines Tennisarms. Unregelmäßig trage ich eine schmerzstillende Salbe auf – wie mir bewusst ist, eine eher halbherzige Behandlung. Im Großen und Ganzen setze ich auf die Therapieform des Zuwartens. Ich hoffe darauf, dass es durch Nichtstun besser wird. Man könnte sagen, ich bin ein Zuwartender.
Sie hingegen hat immer ganz genau auf die Signale ihres Körpers gehört. Routineuntersuchungen waren stets selbstverständlich und bei der geringsten Auffälligkeit hat sie unverzüglich einen Arzttermin vereinbart. Wenn es ihr gut tat, schreckte sie auch nicht davor zurück, alternative Heilmethoden auszuprobieren. Sie ist eine Interventionistin. Um die Unsicherheit über mein eigenes Handeln – oder besser gesagt Nichtstun – zu überspielen, habe ich sie dafür manchmal ein wenig belächelt. Ein Fehler, denn eigentlich wusste ich, dass ihr Weg, die Dinge anzugehen, der richtigere war.
In der Pharmakologie gibt es das Phänomen der Anfangsverschlechterung: In einem ungünstigen Behandlungsverlauf kann es zu einer Verschlechterung der Symptome kommen. Das heißt, man versucht, etwas zu verbessern, und zunächst einmal wird alles schlechter. Eine durchaus betrübliche Aussicht, die für den zwanghaften Zuwartenden keinen besonders großen Anreiz zum Handeln darstellt.
Während Sie mir immer wieder mit liebevoller Geduld zur Intervention riet, setzte ich auf Angst vor der Anfangsverschlechterung immer weiter auf das Konzept des Zuwartens. Ohne es überhaupt versucht zu haben, hatte ich vage Zweifel, ob eine Behandlung zu einem gewünschten Heilung führen würde. Zudem galt es, beschwerliche Hürden zu nehmen: Arzt finden, im Wartezimmer sitzen, umfangreiche Anamnese, langwierige Behandlung, Medikamente mit Nebenwirkungen, hohe Arztrechnungen. All das ohne Garantie auf einen Erfolg. Schließlich handelte es sich ja auch nur um ein scheinbar kleines Problem.
Irgendwann jedoch wurden die Schmerzen größer und waren nicht mehr auszuhalten. Ich wünschte, ich hätte rechtzeitig auf sie gehört, aber nun ist es zu spät. Vor kurzem wurde mein rechter Arm amputiert.
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