Nichts zu verlieren

Nichts zu verlieren,
Das ist der Stand.
Der Kummer frisst das Glück
Uns aus der Hand.
Obwohl vielleicht,
Wenn uns das nicht schert,
Ist es für uns
Bis morgen umgekehrt.

(Erdmöbel)

Zeitlebens wunderte er sich über Paare, die in der Halböffentlichkeit problemorientierte Trennungsgespräche führten. Nun sitzt auch er mit seiner frisch Getrennten in der Kneipe mit dem Kamin und ringt einmal mehr um Worte und ein bißchen auch mit Tränen. Obwohl er wusste, dass sie nichts mehr gewinnen konnten, beraumte er diesen Termin an, der eine Woche lang wie ein Mühlstein auf ihm lastete. Kurz zuvor ebnete sie ihm noch den Weg für einen eleganten Rückzieher, aber er wollte einen letzten Versuch unternehmen, sich zu erklären und das Geschehene besser zu verstehen, obwohl er ahnte, dass es keinen Sinn haben würde. Während er es früher liebte, tief in ihre dunklen braunen Augen zu schauen, weicht er heute ihren Blicken aus, weil er glaubt, sich so besser auf die Worte konzentrieren zu können. Dann sagt er ihr ein letztes Mal die Dinge, von denen sie sagt, dass sie sie alle schon gehört habe. Was ihm bleibt, ist die endgültige bittere Erkenntnis, dass die Liebe, an die er bis zuletzt geglaubt hat, nicht groß genug gewesen sei. Ein letztes Mal umarmen sie einander, bis sie sich schließlich am Bahnsteig gegenüber stehen, um in entgegengesetzte Richtungen zu fahren.

Auf dem Heimweg strömt Musik in seinen Kopf, die so leicht und traurig zugleich ist: Die wunderbare Erdmöbel-Fassung des Henry-Mancini-Klassikers „Nothing to lose“.

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ErdmöbelNichts zu verlieren

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Dies ist ein Beitrag aus meiner Serie “Der Soundtrack meines Lebens”.

Scheinfrühling

Die Luft ist warm
und das Leben sieht bunt aus.
Die einen haben,
gehen mit ihrem Hund raus.
Ich wollt’n Text schreiben
und bin zu Haus geblieben
Ich geh durch die Wohnung mit gemischten Gefühlen,
besteig meinen Thron
und sitze zwischen den Stühlen.

(Blumfeld)

Durch das geschlossene Fenster wirkt dieser Januartag frühlingshaft. Zum Glück ist es kalt draußen, sonst wäre dieser plötzliche Umschwung kaum auszuhalten. Vor dem Nola’s am Weinberg, einem schweizer Lokal in Mitte, sitzt man in Decken gehüllt auf Liegestühlen: Ein kleiner Zauberberg – mit mehr Milchkaffee und weniger Tuberkulose.

Während die einen bemüht sind, die ersten Sonnenstrahlen einzufangen, sind die anderen damit beschäftigt, Dinge komplizierter zu machen. Dieser Frühlingstag ist ein trügerischer Schein – es ist Ende Januar; Winter.

Fashion Week Berlin

„Fashion is what one wears oneself.
What is unfashionable is what other people wear.“

(Oscar Wilde)

Die Modewoche in Berlin „ist eher Prenzlauer Berg geworden denn Paris, weniger Mailand als Moabit“, ätzte zu Beginn der Woche ein Hamburger Nachrichtenmagzin. Das ist in Ordnung, denn Häme ist der Stoff aus dem Hamburger Nachrichtenmagazine geschneidert sind. Mich hat es ohnehin nur in das Festzelt auf dem Bebelplatz verschlagen, um einen einzigen Blick zu erhaschen: den des Ekels im Gesicht des gestylten Garderobenfräuleins bei der Entgegennahme meiner Winterjacke aus der vorletzten Kollektion eines schwedischen Bekleidungshauses. Dafür lohnt es sich schon fast, dieses Event zu besuchen.

Aber auch die kleinen Häppchen, von denen es reichlich gibt, weil Nahrungsaufnahme in Modekreisen nach wie vor nicht sonderlich akzeptiert zu sein scheint, sind nicht zu verachten. Als verachtenswert hingegen empfinde ich indes den Konsens, Currywürste aus der Küche von Luxushotels für vier Euro fünfzig zu verkaufen und dies als ironisches Stilmittel zu betrachten. Viellleicht ist die Bratwurst aber auch nur der würdige Nachfolger der Heroin-Chics der 90er Jahre, denn nur besonders extravagante Besucher der Veranstaltung wagen es, eine solche Wurst zu sich zu nehmen. Nach einiger Überlegung erachte ich den Verkaufspreis als angemessen, denn wo bekommt man auf einer Modeveranstaltung schon einen Distinktionsgewinn für weniger als einen Heiermann? Sogleich stellt sich mir die Frage, ob es auf der Toilette wohl – wie im Braukeller der bayerischen Landesvertretung in der Hauptstadt üblich – einen sogenannten Papst, ein Speibecken mit Armstützen, gebe.  Ein bißchen enttäuscht, dass mein Klischee nicht bestätigt wird, aber auch beruhigt, dass der Trend womöglich doch weg vom bulimischen Magermodel geht, stelle ich auf der Herrentoilette fest, dass diese Art der wassergespülten Sanitärinstallation dort nicht vorhanden ist. (Ob dies auf den Damentoiletten ebenso der Fall ist, kann ich freilich nicht beurteilen.)

Kern der Veranstaltung ist das betont lässige Herumstehen im Vorzelt bei gleichzeitigem intensiven Argusbeäuge der bekleidungtragenden Mitmenschen. Dieses wird zum Leidwesen aller jedoch durch gelegentlich stattfindende Modeschauen unterbrochen. Zum Glück sind diese jedoch zumeist sehr kompakt gehalten: Blitzlichtgewitter für die Zweitplazierte aus der Castingshow Germany’s next Topmodel (alternativ: zukünftige Ex-Ehefrau eines vormaligen Tennisprofis) – zehnminütiges graziöses Auf- und Abschreiten des sogenannten Laufstegs, der sich in der Höhe allerdings nicht vom Erdboden absetzt, durch sogenannte Models – Verbeugung durch und Blumen für den Designer. Alle klatschen entzückt in ihre manikürten Hände und sind im Grunde froh, sich wieder ihren Mineralwassern im Vorzelt zuwenden zu dürfen.

Noch während man den letzten Schluck aus seiner Flasche nimmt, wird das Festzelt bereits wieder demontiert. Ich gehe nach Hause mit dem unter orthopädisch beunruhigendem Ausblick, dass die Damen in der kommenden Saison Trauerkleidung zu obszön hochhackigen Schuhen tragen werden. All das wäre nicht weiter schlimm, wenn die Protagonisten des Modezirkus ebenediesen nicht so furchtbar ernst nähmen.

Trost und Zuspruch – 2 Mark

Dieses verdammte Mitte. Alles ist irgendwie ironisch und zeitlich befristet: Galerien, Bars, Beziehungen. Im Anschluss an die Weihnachtsfeier ist man sich einig, einen dieser neuen angesagten Orte aufzusuchen. Die Bar, deren Namen natürlich nicht an der Tür steht, befindet sich nur wenige hundert Meter von uns entfernt. Die Damen tragen zu hohe Schuhe und drängen deshalb darauf, ein Taxi zu nehmen. Die Herren gehen den kurzen Weg durch Eis und Schnee zu Fuß und erreichten das Ziel zuerst: Trust. Draußen: Warteschlange und Türsteher. Drinnen: Überfüllung und Wodka aus Flaschen, kein Bier, niemals.

Den Damen gefällt es hier trotzdem, wir ziehen ohne sie weiter, was sich rächen soll: In die Neue Odessa Bar will man uns nicht hineinlassen, weil wir Penisse haben. Wir arrangieren uns mit unserem unpassenden Chromosomensatz, verfluchen aber diese Bar und ziehen erneut weiter, wieder durch Schnee und Kälte und mit der Hoffnung, dass unser Unterwegsbier nicht in der Flasche gefriert.

Torstraße/Ecke Ackerstraße: Muschi Obermaier. Über dem Eingang die Worte „Trost und Zuspruch – zwei Mark“ und weil ich das gerade nötig habe, hoffe ich zum ersten Mal ganz still auf eine Abkehr vom Euro. Der Türsteher winkt mich, noch immer mein halbes Unterwegsbier in der Hand haltend, mit größtmöglicher Gelassenheit und den Worten „na wegen einem mitgebrachten Bier wollen wir hier mal nicht rumflennen“ durch. Der Plattenaufleger spielt bevorzugt Musik der 80er Jahre: Talk Talk, U2 und Simply Red. Die 80er waren musikalisch schlimm, denke ich. Die 70er, 90er und 0er ebenfalls. Und auch sonst. Wir stehen herum, trinken gutes bayerisches Bier aus etwas ungelenk geformten Halbliterflaschen; ab und zu auch einen Schnaps. Ich bitte meine Begleitung um Sambuca, bekomme aber ein Gläschen ohne Kaffeebohnen. Sambuca ohne Kaffeebohnen ist meistens Wodka, und so war es dann auch. Wir sprechen über Städte: Hamburg, Berlin und die Provinz. „Der Ort ist nicht das Ding, das du verlässt. Der Scheiß ist in dir“, sagt einer und wir prosten einander zu. Ein Blick in die Runde verrät mir, dass hier ein Vollbart längst nicht mehr reicht. Ich brauche dringend einen Hut. Den Weg nach Hause lege ich taumelnd zurück. Ach, Mitte.

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