Es ist da. Jedenfalls sollte es so sein. Wir schreiben Montag, den 13. September 2010. Es ist der offzielle Erscheinungstermin unseres Buches: „Twitter – das Leben in 140 Zeichen“.
Blut, Schweiß und Tränen hat es meine Twitterlesungs-Kollegen und mich gekostet, die besten Tweets in deutscher Sprache zwischen zwei Buchdeckel zu pressen. Ohne zu übertreiben können wir behaupten: Es ist uns gelungen. Das heutige Datum sollte also Anlass genug sein, die physische Existenz des Werkes (wir Herausgeber haben bislang noch kein Exemplar in der Hand halten dürfen) im Präsenzbuchhandel stichprobenartig zu überprüfen.
Hierzu habe ich soeben ein sogenanntes Kulturkaufhaus im Zentrum Berlins aufgesucht und mich zunächst in der Abteilung für gelb- und grüncoverige Wörterbücher begeben.
Ich: „Guten Tag. Ich suche dieses neue Buch «Twitter – das Leben in 140 Zeichen«.“
Buchhändler: „Ah, Sie meinen dieses witzige. Von dem habe ich schon gehört.“
Ich: „Ja, genau, dieses witzige Buch meine ich. Es soll großartig sein, sagt man.“
Buchhändler: „Das haben die Kollegen aus der zweiten Etage vorliegen. Es liegt dort unter «Sprachwissenschaften – auf dem Humor-Tisch«.“
Ich begebe mich auf also ein Stockwerk tiefer. Auf dem „Humor-Tisch“ befinden sich allerdings nur Werke von Wolf Schneider und Bastian Sick. Das Buch sei für September angekündigt und bereits bestellt, aber noch nicht ausgeliefert, versicherte man mir.
Dieses Buchgeschäft scheint eine riesige logistische Herausforderung sein – allein die Auslieferung an den Handel. Vielleicht wird sich dieses E-Book ja eines Tages doch noch durchsetzen, denke ich, während ich erneut unseren Amazon-Verkaufsrang checke. Wir haben es bereits in die Top-Zwanzigtausendsechshundertsechsundsechzig geschafft. Unsere Rente ist sicher.
Um auch den geneigten Handel auf das Twitterbuch aufmerksam zu machen, werde ich nun bis zur tatsächlichen Auslieferung in sämtlichen Buchhandlungen danach fragen. Buzz muss erzeugt werden, denn Humor gehört auf den Tisch.
Ich bin anders als die anderen. Fast dachte ich, ich sei der einzige. Dies liegt nicht darin begründet, dass ich mich der Weihe durch die dreibeinigen Herrscher erfolgreich widersetzt habe, sondern an meiner plötzlich aufflammenden Begeisterung für eine Science-Fiction-Serie aus meiner Kindheit.
Ich war neun Jahre alt, als das Zweite Deutsche Fernsehen 1986 die BBC-Produktion „The Tripods“ nach John Christophers Buchvorlage zeigte. Die Serie lief damals nachmittags im Ferienprogramm für Kinder („Hallo, Leute, es sind Ferien, alle machen blau von Flensburg bis nach Oberammergau. Denn es sind Ferien, und mit viel Tam-Tam und Infor-mati-on steigt wieder unser Ferienprogramm …“) – und war natürlich viel zu spannend dafür.
Nachdem ich in den vergangenen Jahren naturgemäß nur wenige Gedanken an die Dreibeiner verschwendet habe, sind mir vor ein paar Monaten zufällig beide Staffeln in die Hände gefallen:
Nur wenige Menschen haben die Apokalypse überlebt. Die Welt wird beherrscht von Dreibeinern, die vorgeben, Frieden zu bringen. Bei der „Weihe“ durch die Herrscher wird den Menschen im Jugendalter eine Kappe implantiert, die ihnen Neugierde, Kreativität und den Drang zur Revolution und Gewallt nimmt. Will Parker und seine Freunde trauen den Dreibeinern nicht und widersetzen sich der Weihe. Nach und nach gelingt es ihnen jedoch, die Geheimnisse der Herrscher zu entschlüsseln.
Das klingt erst einmal ziemlich blöd, aber man muss es gesehen haben, damit sich der Reiz erschließt. Eigentlich habe ich so gut wie gar nichts für Science-Fiction übrig, ich mag nicht einmal Serien besonders. Natürlich wirkt die Anmutung der 25 Folgen im Zeitalter von computeranimierten 3D-Filmen holprig. Für damalige Verhältnisse allerdings war die Produktion so aufwändig, dass die dritte Folge aus Kostengründen von der BBC nicht mehr realisiert wurde.
Die Geschichte ist so detailreich und spannend erzählt, dass sie mich noch jetzt, zu meiner großen Überraschung – über zwanzig Jahre nach der ersten Ausstrahlung – fasziniert an den Bildschirm gefesselt hat. Allein die musikalische Untermalung von Ken Freeman lässt einen in einigen Szenen schaudern. Ich weiß gar nicht, wie ich das als neunjähriger Knirps überhaupt ausgehalten habe, ohne größere Albträume zu bekommen.
Aber genau wie Will Parker und seine Freunde im Kampf gegen die dreibeinigen Herrscher nicht allein waren, bin auch ich nicht allein mit meiner, zugegeben etwas albernen, Faszination für diese Serie, deren zweite Staffel erst in diesem Jahr auf DVD erschienen ist: im deutschsprachigen Raum finden sich neben einem Fanclub mit lebendigem Forum, in dem veröffentlichte Informationen über die nie gedrehte dritte Staffel diskutiert werden, auch ein spezielles Wiki, die Trippypedia, in dem wirklich alle Begriffe rund um die TV-Serie erklärt werden. Natürlich gibt es eine eigene Facbook-Gruppe sowie Nerds, die an einem Quartett-Kartenspiel oder mit LEGO basteln – und im August dieses Jahres findet ein weiteres Fan-Treffen in Baden-Württemberg statt, zu dem sich sogar einige der damaligen Darsteller angekündigt haben.
Ich bin zwar weit davon entfernt, mich zum Fan-Treffen anzumelden, aber es ist doch irgendwie schön, zu sehen, dass irgendwo auf der Welt noch ein paar andere Ungeweihte sind, die sich für die Fernsehreihe meiner Kindheit begeistern. Und für diese Erkenntnis liebe ich das Internet.
Ich bin ein Blogger. Ein Journalist könnte das an dieser Stelle so nicht schreiben. Nicht allein, weil er Journalist ist, sondern, weil das nicht geht: „Ich bin ein Journalist.“ Generationen von Schreibern hat Journalistenlehrer und „Sprachpapst“ Wolf Schneider das „ich“ erfolgreich ausgetrieben. Das ist nicht schlimm, denn den Leser einer Zeitung interessiert vermutlich oftmals der Mensch, der einen Text geschrieben hat, nicht wirklich.
Bereits eine Woche vor dem Druck dieser Ausgabe hat mich der zuständige Redakteur gefragt, worüber ich zu schreiben gedenke. Nach kurzer Bedenkzeit gab ich zu Protokoll, „irgendwas mit Blogs und Literatur“ zu machen. Dies erschien mir zunächst eine gute Idee zu sein; ein interessantes Thema im Grenzbereich zwischen Feuilleton und Internet: „Von Abfall für alle bis Strobo – eine kleine Geschichte der Netzliteratur“ oder so ähnlich.
Bei näherer Betrachtung jedoch, hielt ich das selbstgewählte Thema für zu „journalistisch“: Ich empfand Rainald Goetz Auftritt in Klagenfurt, bei dem er sich die Stirn aufritzte, aufregender als seine im Internet veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen der späten Neunzigerjahre, die auch als Buch erschienen sind. Die Debatte um Remixkultur und das Versagen der Literaturkritik am Beispiel des Falles Hegemann war für mich interessanter als die Aneinanderreihung von Beschreibungen der Besuche eines Berliner Szeneclubs. Die Kernfragen lauten aber: Was ist eigentlich dazwischen literarisch im Netz passiert oder warum strebt der Autor zum gedruckten Buch?
Das alles klingt nach nach Anstrengung, Disziplin, Recherche, Fleiß; kurzum: nach Arbeit. Ein solcher Artikel lässt sich nicht in einer Stunde nebenbei nach Feierabend bewerkstelligen. Im Rahmen der Scroll-Edition wagt die Welt Kompakt das Experiment, eine Zeitung von Bloggern machen zu lassen. „Schreibe online wie offline: sei wie du bist“, gab man mir vor diesem Tag an die Hand. Da kann es nicht das Ziel sein, einen professionellen Journalisten halbherzig zu imitieren.
Was mich vor nunmehr sieben Jahren dazu gebracht hat, eigene Texte im Internet zu publizieren, war vielmehr die Freude am digitalen Müßiggang. Für mich ist es mehr das Flanieren im Netz, wie es eine Romanfigur von Wilhelm Genazino tun könnte. Alles kann Text sein, wie bei William Eggleston, dem berühmten amerikanischen Fotografen, alles ein Motiv sein kann. In meinem Blog veröffentliche ich Schönschreibübungen jenseits von Relevanz und Reichweite. Wenn ich Lust habe, etwas zu schreiben, dann schreibe ich. Wenn ich keine Lust habe, etwas zu schreiben, dann lasse ich es bleiben.
Selbstverständlich gibt es Blogger mit lauten Meinungen, nach denen zwar niemand fragt, aber in deren Kommentarspalten sich trotzdem täglich große Diskurse abspielen (keine Links), ambitionierte Technik- oder Musikblogger, die sich in ihrer Nische besser auskennen als jeder Journalist, weil sie über das schreiben, was ihnen am Herzen liegt.
Ich bevorzuge zumeist das digitale Flanieren in demokratisierten Kolumnen: Ich mag Texte von Leuten, die Geschichten aus ihrem Alltag erzählen. Diese Blogs sind keine „Tagebücher im Internet“, wie man oft fälschlicherweise hört, sondern es handelt sich oft um axelhackige, haraldmartensteinige oder maxgoldige Seiten, die von ihren Betreibern gehegt und gepflegt werden, wie andere Menschen das vielleicht mit ihrem Garten tun. Ich mag „Das hermetische Café“, Felix Schwenzels lakonische Alltagsbeobachtungen, Sven Dietrichs Hamburg-Berlin-Vergleiche oder Anke Gröners liebenswertes Gemischttexteblog. Es wären zu viele, um sie hier alle zu nennen. Sie alle (und auch ich) schreiben ihre Geschichten ins Netz, weil sie Spaß daran haben, nicht weil sie es müssen.
Natürlich ist es schön, auch gelesen zu werden. Aber so wichtig ist das nun auch wieder nicht. Wolf Schneider, der mit dem Internet auf Kriegsfuß steht, beklagt „das Geschwätz in Blogs“. Vielleicht fehlt ihm einfach nur die Muße fürs digitale Flanieren – er lässt sich von seiner Frau täglich „mindestens zwei Blogs ausdrucken“.
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Diesen Text habe ich ursprünglich für die Scroll-Edition der Welt Kompakt geschrieben. In dieser ist er leider nur stark gekürzt unter der Überschrift „Von wegen Geschwätz im Netz“ als eine Art Serviceteil für Blogempfehlungen erschienen.
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