Frau Riemann und Frau Berg sitzen gemeinsam auf der Bühne des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Dieses ist zwar gut besucht, aber nicht ausverkauft. Pech für alle, die nicht dort waren. Die Damen haben nämlich sehr schön gelesen, was Frau Berg zuvor sehr schön geschrieben hat. Vor allem ihren neuen Roman „Der Mann schläft“, aber auch Gedichte.
Frau Riemann trinkt Wasser aus dem Glas und Hustensaft aus der Flasche. Letzterer scheint sie aufzuheitern; zumindest hilft er gegen Husten. Frau Berg trinkt nur Wasser und bringt uns bei, dass Husten ausschließlich Willenssache sei. Außerdem erfahren wir, dass sie einst einen Happy-End-Kurs besucht hat. So lässt sich das schriftstellerische Leben ganz einfach in eine Zeit davor und eine Zeit danach einteilen. Trotzdem endet es meistens böse.
Anschließend ist in der Kantine ein Tisch reserviert („der einzige mit Tischdecke“). Wir dürfen daran Platz nehmen und Bier aus der Flasche trinken. Frau Riemann verzichtet, obwohl die Tischdecke wirklich sehr weiß ist, und es sicher auch Wein gegeben hätte. Frau Berg hingegen trinkt mit uns und leistet praktische Lebenshilfe. Von einem Umzug nach Island, der sexuellen Zuwendung zum männlichen Geschlecht sowie von einer Umschulung zum Bildhauer sehe ich dennoch bis auf weiteres ab.
Im vornehmen Hamburger Stadtteil Eppendorf heißt das Gesundheitsamt nicht „Gesundheitsamt“, sondern „Gesundheitshaus“. Dass es sich jedoch eindeutig um ein Amt handelt, wird bereits beim Betreten des Gebäudes klar. In deutlichen Worten wird man aufgefordert, ein Formular auszufüllen und sich mit diesem in den 4. Stock zu begeben.
Nach ein paar Tagen der effektiven Panikmache vor der großen Schweinegrippe-Pandemie durch die lokale Presse, haben sich zahlreiche Angehörige der bekannten Risikogruppen eingefunden, um sich den aus Bruchteilen von Virenhüllen von in bebrüteten Hühnereiern gezüchteten Viren (Teilpartikelimpfstoff) hergestellten Wirkstoff mit Wirkverstärker in den Oberarm injizieren zu lassen.
Rollatoren versperren die schmalen Gänge und in der Warteschlange herrscht Zweiklassenmedizin: ein Teil der Wartenden darf auf harten Stühlen sitzen, der später dazugekommene Teil muss stehen. Anfangs steht man noch vor dem Zimmer mit der Aufschrift „Beratungszentrum sehen-hören-bewegen-sprechen Abschnitt Sprechen“. Wohl dem, der seinen Rollator zum Notsitz umfunktionieren kann. Alle paar Minuten wird panikartig aufgerückt, was ein wenig an das Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“ erinnert. Irgendwann hat man sich über den „Abschnitt Bewegen“ bis zu einem der drei Impfzimmer vorgewartet.
In der Warteschlange erzählt man sich lustige Impfgeschichten aus den 70er Jahren, als man noch im Rahmen einer großangelegten Impfaktion in der Sporthalle geimpft wurde, und natürlich fällt auch das unvermeidliche „die einen Ärzte sagen so, die anderen so“ darf nicht fehlen. Ein gnatternder Rentner kommt herein, der beim Anblick der langen Warteschlange fragt, ob wir in der Ukraine seien. Ich verneine und der Rentner zieht ohne H1N1-Schutz von dannen. Das ist nicht weiter schlimm, denn der Impfstoff ist ein knappes Gut.
„Der Nächste, bitte.“ Nach gut einer halben Stunde Wartezeit bin ich an der Reihe. Die Amtsärztin ist unfreundlich und moniert in harschem Ton bei ihren Helferinnen nichtaufgezogene Spritzen und ungestempelte Impfpässe. Ob sie denn alles alleine machen müsse. Ich habe ein bißchen Mitleid mit ihr; einen so großen Ansturm auf ihre Dienste ist sie wahrscheinlich nicht gewohnt. Möglicherweise ist sie aber auch nur frustriert, weil die Bewerbung auf ihre Traumstelle im Justizvollzug oder auf dem Kreiswehrersatzamt keinen Erfolg hatte. Ein kurzer Pieks und alles ist vorbei. Jetzt beginnt das Warten auf die befürchteten Nebenwirkungen. Zum Glück ganz ohne Schlangestehen und -sitzen.
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Nachtrag: Da das Interesse groß zu sein scheint, hier ein paar Worte zu den bei mir aufgetretenen Nebenwirkungen.
10 Stunden nach der Impfung: leichter Schmerz an der Einstichstelle (etwa muskelkaterähnlich), leichte Kopfschmerzen, etwas Schüttelfrost; insgesamt nichts Besorgniserregendes.
20 Stunden danach: Schmerzen um die Einstichstelle herum und beim Heben des Arms. Alles erträglich.
36 Stunden danach: Nur noch leichte Schmerzen im Arm, klingen ab. Das war’s wohl.
Montagabend in der Kantine des Deutschen Schauspielhauses. Zwar riecht es nach Bratfett, doch ist es die Musik, die Luft zum Kochen bringt. Gitarre, Kontrabass, Schlagwerk — jahrelang aufeinander eingestimmt: Dialoge, Trialoge. Jedes Mal neu, jedes Mal ein Erlebnis.
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