Sommer, Winter

Nie gäbe man es zu, aber im Grunde ist man doch Romantiker. Wenn der Kitsch der untergehenden Sonne aber zu viel wird und nicht mehr zu ertragen ist, muss man sich einen geschlossen Raum suchen. Am besten eignen sich nicht klimatisierte Räumlichkeiten ohne jegliche Frischluftzufuhr. Dicht gedrängt sitzen hier schwitzende Menschen und lauschen Mädchen, die aus vollkommen zu recht unveröffentlichten Romanmanuskripten lesen, oder Politikern, die mit dem Internet hadern. Selbstkasteiung und Weißweinschorle.

Sich dann nach knrischendem Schnee unter den Füßen sehnen, wohl wissend, dass der Winter naturgemäß auch nicht besser ist, weil ja auch der Kitsch der Winterwunderwelt unerträglich ist. Auf der Flucht vor glühweintrinkenden Massen erneut Räume aufsuchen, die nun überheizt sind, und verzweifeln, weil Menschen auch im Winter immerzu schwitzen müssen. Andere Mädchen lesen aus neuen Romanmanuskripten, die auch nicht besser sind, und die Politik dreht sich immerzu im Kreise.

Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.

Doppeldeckerbus

And if a double-decker bus
Crashes into us
To die by your side,
Is such a heavenly way to die

(The Smiths)

Sinnlos mit dem Doppeldeckerbus durch die halbe Stadt fahren. Es regnet; durch die Kopfhörer fließen Bachs Goldberg-Variationen direkt in das Gehirn. In seinen Händen ihr Brief – von nah und doch weit weg. Darin das Bild eines Dinges, das ihre Wohnung zierte, und das er manchmal belächelt hat. Unzählige Fragen, aber keine Antworten. Stattdessen ein Thema mit Variationen. Gedankenverloren versäumt er, seinen Haltewunsch anzumelden …

Königlicher Grill

Was uns als Größenwahn erscheint,
ist nicht immer eine Geisteskrankheit.
Oft genug ist es nur die Maske eines Menschen,
der an sich verzweifelt.

(Arthur Schnitzler)

Königlicher Grill, Champagner als Aperitif, Berliner Größenwahn als Hauptgang. Dazu zartes Fleisch, Streichholzkartoffeln und Wein. „Capitalism kills love“ blinkt in großen Lettern an der Außenwand und es ist nicht einmal ironisch gemeint. Gut sichtbar am Eingang plaziert sitzen Stuckrad und Ulmen. Letzterer besucht auffällig oft die Toilette und geht dorthin stets eine auslandende Runde durch das gesamte Lokal. Gesehen werden und gesehen werden. Der Gedanke, dass sie dafür bezahlt werden. Das Schöne an Klischees ist, dass sie meistens stimmen. Wo ist eigentlich Uslar? Zum Abgang das Herrengedeck „Deutschboden“: Ein Buch, ein Bier, ein Korn. Eigentlich will man das alles hier ablehnen, aber dafür ist es leider zu gut.

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Dieser Abend fand mit freundlicher Unterstützung von compuccino statt. Danke.

Kleine Theorie der Baustelle

Spät nachts durch dieses Berlin schlendernd erläutere ich meiner Begleitung meine kleine Theorie der Baustelle: Wer sich zu dieser Stunde hinter einem Bauzaun aufhält und keinen scharfen Hund an der kurzen Leine führt, ist kein mit dem Objektschutz bauftragter Mitarbeiter, sondern entwendet widerrechtlich Baumaschinen und -material.

Um den Beweis anzutreten, rüttle ich mutig an einem Bauzaun, um den dahinter befindlichen Mann zu uns zu bitten. „Was machen Sie da?“, frage ich ihn. Er scheint nicht sonderlich verwundert von meiner Auskunftsbitte zu sein, und antwortet höflich, dass er die Baustelle bewache. Es werde viel geklaut und randaliert etc. „Und wo ist Ihr Hund?“, bohre ich kritisch nach. „Ich habe keinen und ich brauche keinen“, sagt er. Daraufhin weihe ich ihn in meine Theorie ein, was den Sicherheitsmann ein wenig zu amüsieren scheint. Ich möchte wissen, ob es für ihn so ganz ohne Vierbeiner, mit dem man des Nachts sprechen könne, nicht äußerst langweilig sei, so die ganze Zeit allein um den Rohbau zu marschieren. „Ich schreibe Gedichte“, entgegnet er mir, was wiederum mich in ein mittleres Entzücken versetzt. Ein Wachmann, der Gedichte schreibt, bringt meine Theorie ins Wanken, denn naturgemäß kann man keinen bissigen Hund festhalten, während man feinste Gedanken in einem Notizbuch niederschreibt.

Zu gern hätte ich vor dem Bauzaun noch ein Stück Wachdienstlyrik gehört, allerdings konnte sich der Objektschützer nicht durchringen, aus seinem Werk zu rezitieren. Möglicherweise dichtet er gar nicht – so wie es auch nicht mein Beruf ist, im Puff Klavier zu spielen, was ich es lästigen Nachfragern gegenüber gelegentlich behaupte. Beiderseits ein wenig erfreut von diesem kurzen Gespräch wünschen wir einander eine gute Nacht. Er dreht seine Runden, wir ziehen weiter: Mit dem Gedanken, dass auch meine kleine Theorie demnächst in Verse gegossen werden könnte.