Zauberwürfelkünstler

Ein junger Mann in der U-Bahn starrt wie in Trance an die Decke und bedient nebenbei in Blitzgeschwindigkeit ein mechanisches Geduldsspiel der achtziger Jahre. Nur selten gerät er ins Stocken, zählt dann an seinen Finger irgendetwas ab und fährt fort. Weisen alle Seiten des Zauberwürfels dieselbe Farbe auf, beginnt er von vorn. Bis zur Endstation.

ÖPNV-Kalamitäten

Kaktus

Der Busfahrer ist ein untersetzter junger Mann. Er trägt eine weinrote Filzkrawatte und hat einen zauseligen Kinnbart. Vergeblich wartend steht er an der Tram-Haltestelle und telefoniert mit der Leitstelle der Straßenbahn. Laut und deutlich erwähnt er dabei mehrfach die ihn eindeutig identifizierende Dienstnummer. Die Tram kommt nicht, was den Busfahrer erbost, weil er deshalb seinen Bus nicht rechtzeitig übernehmen kann. Später, in der sehr verspäteten Bahn sitzend, telefoniert er mit seiner eigenen Leitstelle. Wieder nennt er zuerst laut und deutlich seine Dienstnummer und entschuldigt sein offenbar wiederholtes Zuspätkommen. „Das Leben hat mich gefickt“, murmelt er in das Telefon. „Meine Alte poppt fremd und ich habe seit zwei Tagen nicht geschlafen.“ Dann erzählt er von Sekundenschlaf im Dienst und übermäßigem Kaffeekonsum und dass er sein Auto zu Schrott gefahren habe. Zusammengesackt sitzt er da, kein Häufchen Elend, sondern eher ein Achttausender. Man möchte nicht mit ihm tauschen.

Anschließend in der S-Bahn unterhalten sich zwei Studentinnen der Humanmedizin im Praktischen Jahr. Beide befassen sich gerade mit onkologischer Chirurgie. Entzückt erzählen sie einander ihre schönsten Karzinomausräumgeschichten. Dabei kichern sie. Man möchte nicht bei ihnen auf dem OP-Tisch liegen.

Betriebsbahnhof

Straßenbahn-Betriebsbahnhof

In die Straßenbahn des Todes,
die heulend sich zum Stadtrand quält,
werd ich mich klaustrophobisch zwängen,
weil auch die kleine Geste zählt.

(Element of Crime)

In Gedanken und in der Tram sitzend höre ich aus dem Ohrenwinkel wie etwas aus den Lautsprechern gemurmelt wird: „Abweichende Linienführung und Schienenersatzverkehr“. Schließlich werde ich nicht – wie sonst üblich – unfreundlich aufgefordert, die Straßenbahn endhaltestellenankunftsbedingt zu verlassen. Für einen kurzen Moment klingt es tatsächlich ein bißchen, als hätte ich die Wahl. Je weiter sich jedoch der Zug von der Zivilisation entfernt, desto klarer wird, dass ich in der Falle sitze. Wo man landet, wenn man versäumt, bei Zeiten in den Bus umzusteigen: Auf irgendeinem verlassenen Betriebsbahnhof. Und von hier gibt es kein Zurück.

Gassigehdienst

Die Frau vom gewerblichen Gassigehdienst blickt so mürrisch drein, als brächte sie die in ihrer Obhut befindlichen Vierbeiner am liebsten direkt in den nächstgelegenen Chinaimbiss. Warum sie mit den Hunden in die Tram steigt, gibt mir ein Rätsel auf. Verständlich, dass auch ihr das Flanieren mit angeleinten Haustieren eine Last ist. Den Hundehaltern ist es das schließlich auch. Warum aber bevorzugt sie nicht die zum Zwecke der Gassigehvermeidung viel geeignetere Ringbahn? Damit könnte sie stundenlang im Kreis fahren. – Vorausgesetzt sie hat eine ausreichende Menge an Hundekotbeuteln dabei.