Myll, 13. September 2012: Brief

11.27 Sie zeigt mir einen Brief von Rainald Goetz, dessen Inhalt gar keine Rolle spielt, wie ja überhaupt in der Schriftstellerei zumeist die Form eine größere Rolle spielt. Allein die Tatsache, dass Goetz Briefe schreibt, ist interessant. Auffällig, seine Handschrift: geschwungen, markant, aber trotzdem gut lesbar. Man erkennt sofort den geübten Briefeschreiber usw. Schriftsteller sind ja die einzigen, die nach wie vor immerzu Briefe schreiben müssen, damit irgendwann Bücher mit ihren Schriftwechseln erscheinen können. Ein später Dank und Gruß an die herausgebenden Witwen und Literaturwissenschaftlerinnen. Anstrengend, immer im Hinterkopf haben zu müssen, dass ja irgendwas bleiben müsse, anstatt schnell wegzulöschende elektronische Kurzmitteilungen zu verfassen. Stattdessen Briefe und Postkarten, verfasst mit dokumentenechter Tinte.

Handgeschriebene Briefe und der Euro werden verschwinden, genau wie auch die Liebe verschwunden ist. Und irgendwann, ganz zum Schluss, wird auch das Internet weg sein. Aber das ist dann so egal, wie eigentlich alles egal ist. Bald gibt es wieder Bodenfrost.

Freunde werden, sein und bleiben auf Facebook

Wenn es um Datenschutz, Allgemeine Geschäftsbedingungen oder die Vereinnahmung des gesamten weltweiten Netzes durch die Einführung von „Mag-ich-Knöpfen“ geht, ist das Fratzenbuch stets für einen Aufreger gut. Das ist nicht mein Thema.

Obwohl ich Web2.0-Diensten grundsätzlich offen gegenüber stehe, habe ich Facebook erst relativ spät für mich entdeckt. Seit etwa einem Jahr nutze ich es mehr oder weniger intensiv: Im Gegensatz zu XING versammeln sich hier überwiegend Kontakte privaterer Natur; zudem treffen hier zwei Welten aufeinander. Während bei Twitter nach wie vor eine überwiegend netzaffinere Runde gesellig miteinander zwitschert, hält mich das Gesichtsbuch auch über das Leben meiner Offlinefreunde auf dem Laufenden. Für sie scheint die Hemmschwelle, den Freundeskreis via Statusmeldung über aktuelle Ereignisse ihrem Leben zu informieren oder ein Bild zu veröffentlichen, kleiner zu sein, als zu bloggen, zu twittern oder ein Foto bei Flickr hochzuladen. Mittels Druck auf einen Button kann man ohne großen Aufwand Anteil am Leben seiner Freunde nehmen, in Facebook-Nachrichten im Hintergrund sind schnell ein paar persönlichere Zeilen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, verfasst. Eine E-Mail zu schreiben wirkt dagegen fast so anachronistisch wie eine Postkutsche auf den Weg zu bringen. All das mag ich.

Was mich an Facebook indes zunehmend nervt, sind Kontaktanfragen folgender Art:

Kommentarlose Kontaktanfragen von Personen, die ich überhaupt nicht zuordnen kann. Ich gebe zu, ich habe ein eher schlechtes Namens- und Gesichtergedächtnis. Deshalb grüble ich oft und lange, woher ich diesen Menschen, der soeben im sozialen Netzwerk mein Freund werden wollte, kennen könnte. Doch zumeist will mir auch nach längerem Nachdenken nichts einfallen. Manchmal klicke ich einfach auf „ignorieren“, manchmal – wenn ich gut gelaunt bin – frage ich einfach nach: „Woher könnten wir uns kennen?“ Die ernüchternde Antwort ist oft: „Wir kennen uns nicht, aber wir haben 37 gemeinsame Freunde.“ Aha.

In selteneren Fällen jedoch habe ich tatsächlich schon einmal ein paar Worte mit dem Anfragenden gewechselt oder wir sind uns irgendwo in den Weiten des Netzes begegnet. In diesen Fällen stimme ich dem Kontaktwunsch grundsätzlich gern zu, halte es aber für eine wünschenswerte Geste, mir mit ein paar Worten auf die Sprünge zu helfen. Man kann Kontaktanfragen nämlich auch mit einem Begleittext wie „Hallo bosch, wir haben letztes Jahr auf der Geburtstagsparty von Erna Müller miteinander geknutscht …“ versehen. Ich weiß dann vielleicht, um wen es sich bei der anfragenden Person handelt, und erspare ihr lästige Rückfragen oder einen unberechtigten Korb.

Schwachsinnige Kontaktanfragen nehmen ebenfalls stark zu. Hier ein Beispiel:

„Betreff: Willst du nicht im der [Nachname einsetzen] Facebook … sein :-)
Ich bin Ingo [Nachname einsetzen] und suche [Nachname einsetzen] für meine [Nachname einsetzen] Comunity :-)
Sei doch dabei! Aufnahme Bedinnung ist heiße [Nachname einsetzen] ;-) nur [Nachname einsetzen] hat Zutritt :-)“

Nein, das will ich nicht. Ich will mich genau so wenig mit Leuten vernetzen, die zufällig denselben Nachnamen tragen wie ich, wie ich mich mit Besitzern von Kühlschränken, Liebhabern von Gurkensalat oder Leuten ohne Weisheitszähnen vernetzen möchte. Zumindest nicht ausschließlich aus diesem Grunde.

Anfragen von Kontaktsammlern erfreuen mich ebenfalls wenig. Kontaktanfragen lauten gern so: „Bei 53 gemeinsamen Freunden sollten wir uns auch vernetzen, oder?“ Ich frage daraufhin: „Warum?“ und erhalte als Antwort „Warum nicht?“ Das ist an sich ganz einfach zu beantworten: Ich will nicht, dass mein ganzer Facebook-Stream von Statusmeldung mir unbekannter Menschen zugemüllt wird. Außerdem möchte ich die für meinen Freundeskreis bestimmten Statusmeldungen, Bilder und Links nicht mit mir unbekannten Menschen teilen (ja, ich weiß, man kann die Privatsphäreeinstellungen so vornehmen, dass nicht alle Kontakte alle Informationen erhalten, aber darum geht es hier nicht).

Auch offensichtlicher Kontaktspam ist eine unschöne Sache. Ich lehne es ab, wenn sich Spirituosenhersteller, Ortsverbände fragwürdiger politischer Parteien oder Evangelische Redaktionen als natürliche Personen anmelden, und plötzlich mein Freund werden wollen. Dafür gibt es Gruppen oder Unternehmensseiten. Von Unternehmen muss man neuerdings nicht einmal ein Fan werden, sondern darf sie einfach mögen. Muss es aber nicht.

Um es auf den Punkt zu bringen: Bleibt locker, seid freundlich. Genau wie es man es im richtigen Leben auch von Euch erwarten würde. Dann klappt es auch im Netz. Vielen Dank.

Stöckchen 2.0

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mein Blog freizuhalten von allem Gerede über Technik. Zum einen gibt es bereits eine schier unübersichtliche Anzahl von Blogs, die sich mit diesen Webgeschichten befassen und zum anderen habe ich als technischer Laie und Endbenutzer zu wenig Ahnung von diesen Dingen. Da es aber die Höflichkeit gebietet, will ich dieses technische Stück Holz, welches mir Stefan zugeworfen hat, auffangen und nach bestem Wissen und Gewissen bearbeiten.

Nutzt Du Social Bookmarking/Networking Seiten wie Digg, Yigg, Mister Wong oder Del.Icio.Us? Wenn ja, welche?

Ja, ich nutze derzeit del.ico.us recht aktiv. Das klang so köstlich und ist darüber hinaus auch die erste Social Bookmarking-Seite, die mir über den Weg gelaufen ist. Allerdings nutze ich es weniger zum Austausch von Links, sondern mehr als Merkzettel für interessante Internetseiten. Schön ist, dass ich darauf von überall zugreifen kann. Bei Mister Wong habe ich mich angemeldet. Interessant ist hier, dass dort viele Verweise auf deutschsprachige Angebote zu finden sind. Mit Blick hierauf könnte Mister Wong bei mir bald die Nase vorn haben.

Yigg und Digg und wie sie alle heißen nutze ich nicht. Die wichtigen Nachrichten und ganz großen Dinge können im Prinzip gar nicht an einem vorbeigehen. Der ganze Rest wird dort oft zu sehr hochgejubelt.

Schaust Du Dir Videos bei Videoportalen wie YouTube, Sevenload oder DailyMotion an? Wenn ja, was für Videos guckst Du Dir meistens an?

Ja, ich habe auf YouTube einige interessante Jazzgitarristen abonniert. Ansonsten kann man gerade, wenn man sich im Bereich Musikvideos umsieht, auf YouTube herrlich ganze Tage vertrödeln. Die Gefahr ist groß. Sevenload finde ich als Plattform optisch ansprechender, surfe dort aber fast nie herum.

90 – 98 % von allem ist Schrott

Soeben machte Spreeblick auf ein Interview mit Tim O’Reilly, dem Erfinder von Web 2.0 aufmerksam. Der Kernsatz des interessanten Gesprächs lautet:

Ich habe früher regelmäßig Science Fiction gelesen. Einer der bekanntesten Autoren, Theodore Sturgeon, wurde einmal daraufhin angesprochen, dass 95 Prozent der Science-Fiction-Literatur Schrott sei. Sturgeon antwortete mit einem Satz, der als Sturgeon’s Law bekannt wurde: „95 Prozent von allem ist Schrott.“ 95 Prozent der PC-Software und auch 95 Prozent des Web 2.0. Ich bin außerdem ziemlich zuversichtlich, dass sich im Web 2.0 noch vieles verbessern wird. Wir sind mitten im Entwicklungsprozess. Gutes bleibt, Schlechtes verschwindet.

Sturgeon selbst war ursprünglich übrigens etwas optimistischer. Der nach ihm benannten Gesetzmäßigkeit war ursprünglich lediglich von einer Schrottquote von 90 % die Rede. Allerdings mit Schwankungen unterlegen, wahlweise war auch von Mist oder Scheiße die Rede. Sturgeon starb 1985 – damals gab es noch gar kein Web 2.0.