Sprechen – Schreiben – Schweigen

Kurz vor seinem Tod nimmt Kurt Tucholsky einen letzten Eintrag in sein „Sudelbuch“ vor, die bekannte Treppe: „Sprechen – Schreiben – Schweigen“. Es ist das bedrückende Dokument eines „aufgehörten Dichters“, wie er sich selbst bezeichnete. „Dass ich mein Leben zerhauen habe, weiß ich. Dass ich aber nicht allein daran Schuld bin, weiß ich auch. Mich haben sie falsch geboren“, schreibt Tucholsky am 19. Dezember 1935 in einem Brief an seine letzte Geliebte Hedwig Müller. Zwei Tage später stirbt er an einer Überdosis aus Schlaftabletten und Alkohol in einem Göteborger Krankenhaus; ob es Absicht war oder ein Unfall kann nie endgültig geklärt werden. Bereits 1923 hat er unter dem Pseudonym Ignatz Wrobel in seiner Satire „Requiem“ folgenden Grabspruch für sich erdacht: „HIER RUHT EIN GOLDENES HERZ UND EINE EISERNE SCHNAUZE. GUTE NACHT –!“. Seinen Grabstein, nahe Schloß Gripsholm ziert jedoch ein anderer. Tucholsky hinterlässt ein Werk von mehr als 2.500 Texten.

Am 9. Januar 1890, heute vor 121 Jahren, erblickte der Journalist und Schriftsteller mit den 5 PS das Licht der Welt.

In den letzten Wochen habe ich gelegentlich über Tucholskys Treppe nachgedacht. Sicher war sie bedingt durch die Lebensumstände seiner letzten Jahre auch ein Zeichen der Resignation. Aber was vermag Sprache wirklich? Nicht selten bin ich in den letzten Monaten an die Grenze meiner Ausdrucksfähigkeit gestoßen; allzu oft fehlen mir die richtigen Worte, um Gedanken und Gefühle wirklich auf den Punkt zu bringen. Es ist ein ewiges Ringen um Genauigkeit.

Allzu oft war ich geneigt, die Treppe umzudrehen: Schweigen – Sprechen – Schreiben. Das schafft Luft zum Nachdenken und ich hoffte, mich dadurch besser ausdrücken zu können. Ein Irrtum. „Schreiben statt Reden“ hat vieles in meinem Leben nicht einfacher gemacht. Ganz im Gegenteil: Missverständnisse, die im persönlichen Gespräch wohl sofort hätten ausgeräumt werden können, wurden durch die Schriftform manifestiert.

Konfrontiert mit der Unzulänglichkeit der eigenen Worte wächst in mir die Erkenntnis, dass Sprache auch immer Scheitern bedeutet. Insofern wäre das Schweigen in der Tat eine mögliche Konsequenz. (Im Übrigen hadere ich gerade damit, ob oder in welcher Form ich dieses Weblog weiterführen werde.)

Aktion Blogswing

Der Sommermonat August ist allgemein nicht dafür bekannt, ein Zeitpunkt für gute Vorsätze zu sein. Aber warum sollte man diese immer nur zum Jahreswechsel fassen?

Wenn Gewerkschaftsbosse auf Kosten des Betriebes, den sie gerade bestreiken, in den Urlaub fliegen und Affenmädchen mangels Seepferdchenabzeichen im Hamburger Zoo ertrinken, dann hat wieder einmal das Sommerloch geöffnet. Während andere Blogbetreiber in dieser Zeit vor lauter Transpiration bevorzugt einen neuen Blogblues ausrufen, alle Viere von sich strecken, sich dem Müßiggang hingeben und so in den Feedreadern dieser Welt für gähnende Leere sorgen, will ich dieser Entwicklung entschieden entgegentreten und Dienst am Leser tun. Hiermit rufe ich die Aktion Blogswing aus – für einen beschwingten Sommer im Weblog.

Täglich werde ich fortan an dieser Stelle einen Beitrag veröffentlichen – zumindest einen kurzen, manchmal vielleicht auch einen kurzweiligen. Der langjährige Leser dieses Onlinejournals wird sich nun möglicherweise mir Blick auf die bisherige Beitragsfrequenz an den Kopf fassen und sich fragen: Ja, schafft der bosch das denn? Wie lange wird er das bloß durchhalten? Ich kann Sie beruhigen und sage: mindestens bis morgen.

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Geeignete Themenvorschläge nehme ich selbstredend gern entgegen.

Hausmitteilung Nr. 3: TV, Blogpiloten, turi2, Twitkrit in der FAZ und Selbstreferenzialität

Kurz möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, um auf einen von mir verfassten Beitrag zum Thema „Zukunft des Fernsehens“, der heute bei den Blogpiloten erschienen ist, hinzuweisen. Ich habe ihn „Fernsehen ist tot – jedenfalls ein bißchen“ genannt.

Dass sich griffige Formulierungen bezahlt machen, durfte ich in diesem Zusammenhang erfahren: Das Medienblog turi2 zitiert nämlich aus meinem kleinen Aufsatz. Ausgerechnet ich erscheine dort mit Bild in einer Reihe mit Günter Netzer – wer hätte das für möglich gehalten?

Und auch Twitkrit, ein Gemeinschaftsblog, bei dem ich als einer der Autoren beteiligt bin, hat es am Wochenende zu Ruhm und Ehre geschafft, und zwar in die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) vom 22. Juni 2008: Jörg-Olaf Schäfers hat uns in seiner Kolumne „Neues aus dem Notizblog“ auf der dazugehörigen Linkliste verewigt. Der Originalbeitrag ist leider nur für Abonnenten frei zugänglich (interessierten Lesern sende ich diesen per Mail gern zu). Twitkrit wurde zwar in der Printausgabe der FAS nicht namentlich erwähnt, aber in dem Artikel heißt es: „Neben den drei oben genannten, eher professionellen Websites finden sich im Netz natürlich auch zahllose in liebevoller Handarbeit am Wort gepflegte Websites privater Autoren.“ Dies dürfen wir uns fortan auf die Fahnen schreiben und sagen Dankeschön für so viel Zuspruch.

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Weblogs wird immer wieder vorgeworfen, sie seien selbstreferenziell. Dieses Vorurteil möchte ich ab heute auch bedienen. Sporadisch habe ich versucht, die Metaebene in einem separaten Blog unterzubringen, das jedoch mangels Masse zwischenzeitlich eingeschlafen ist. Daher werde ich in der Kategorie „Hausmitteilung“ fortan alles unterbringen, was mit meinem Weblog und dem Bloggen im Allgemeinen zu tun hat. Dass mein Bedürfnis, mich zu diesen Themen zu äußern, eher gering ist, dürfte den regelmäßigen Leser beruhigen und ihm sicher bereits aufgefallen sein. Wer sich für meine Hausmitteilungen nicht interessiert, der darf gern weiterblättern – im Spiegel ist schließlich auch niemand gezwungen, die Lektüre mit Seite 1 zu beginnen.

Hausmitteilung Nr. 2: Twitkrit

twitkrit

Liebe Leser,

hier geht es seit einigen Tagen ruhig zu, noch ruhiger als sonst. Sie werden jetzt möglicherweise denken: Ah, es ist Frühling, da hat der Autor sicher andere Dinge im Kopf, als sich der Befüllung dieses Onlinejournals zu widmen.

Mit diesem Gedanken liegen Sie nicht einmal daneben: Passend zur Jahreszeit habe ich in den letzten Tagen meine gesamte Aufmerksamkeit dem Gezwitscher gewidmet. Das gibt es jetzt auch im Internet und heißt dort Twitter.

Wer in den Weiten des Netzes sein Gezwitscher verbreiten möchte, hat dafür genau 140 Zeichen Platz. Da manche Vögel schöner (und andere auch schräger) zwitschern als andere, habe ich zusammen mit mspro, Picki, Cara und Björn ein Fachblog für Twitteratur gegründet: Es heißt Twitkrit. Dort widmen wir uns ab sofort täglich einem einzelnen Tweet oder gleich dem Lebenswerk eines Tweeters.

Warum wir das tun, kann man in unserem Manifest nachlesen. Hier und dort finden sich auch Interviews, die unseren Aufbruch in die spannende Welt der Twitteratur begleitet haben.

Ich selbst twittere natrürlich auch. Man findet mich und mein gezwitscher unter twitter.com/bosch. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und bleiben Sie mir gewogen.

Ihr bosch