Kleine Wirtschaftskunde anhand von Weltkonjunktur und Ölpreisentwicklungen


Spritfresser (gesehen in Hamburg-Winterhude)

Eine stark vernachlässigte Rubrik in diesem Onlinejournal ist die „Wirtschaft“. Nicht im Sinne von Speise- und Schankwirtschaft, wie es vielleicht naheliegend erscheint, sondern eher im Sinne von Ökonomie: Unternehmen, Haushalte, Banken, Staat – der ewige Kreislauf halt.

Vorgestern berichtete die Süddeutsche Zeitung in ihrer Printausgabe von einem Phänomen, wie es selbst die Gründerväter des hinlänglich bekannten Schweinezyklusses nicht schöner hätten ersinnen können: „Ölpreis fällt, Kurse steigen – Schwache Konjunktur lässt die Energie-Nachfrage sinken“ hieß es dort auf der Titelseite. Zusammengefasst: Die weltweite Konjunktur geht zurück, aufgrund dieser Tatsache sinkt die Nachfrage nach Öl, was einen Rückgang der Ölpreise zur Folge hat, der wiederum die Kurse an den Aktienmärkten beflügelt, weil Produzenten nun die Dinge, die nicht mehr nachgefragt werden, billiger produzieren können.

Das ist großartig, ein bißchen wirtschaftsnobelpreisverdächtig und unterstützt ein weiteres in Industriestaaten bekanntes Paradoxon: So kann ein Automobilhersteller  den eigenen Aktienkurs vornehmlich nicht dadurch positiv beeinflussen, dass er bessere Fahrzeuge baut, die sich in höherer Stückzahl verkaufen lassen. Die Kurse der eigenen Wertpapiere lassen sich vielmehr in schwindelerregende Höhen treiben, indem man seine Arbeitnehmer vor die Tür setzt, die somit im Anschluss kein Geld mehr haben, neue Autos zu kaufen.

Am besten wäre es also, wenn alle Menschen von heute auf morgen darauf verzichteten, mit dem Auto zu fahren. Nicht nur aufgrund des dadurch vermiedenen Schadstoffausstoßes entstünden so blühende Landschaften, sondern  vor allem in ökonomischer Hinsicht: die Nachfrage nach Öl sänke ins Bodenlose, weil kein Benzin mehr benötigt würde, Autos könnten billiger produziert werden, weil die bei der Herstellung anfallenden Energiekosten sänken, die Aktienkurse der Autobranche würden explodieren. Beflügelnd käme hinzu, dass auch noch sämtliche Mitarbeiter von Automobilfirmen entlassen werden könnten, da ja niemand mehr ein Auto bräuchte, das nicht gefahren würde. Die Kurse stiegen und stiegen und stiegen. Vorher müssten sich nur noch alle mit Anteilsscheinen in ausreichender Menge eindecken und abwarten.

Heute jedoch berichtet dieselbe Zeitung, dass – entgegen allen vorerwähnten Überlegungen – der Aktienkurs des japanischen Autobauers Toyota massiv schwächelt. Aufgrund des hohen Ölpreises werden insbesondere stark spritfressende Geländewagen nicht mehr nachgefragt, die allerdings schon in großer Menge produziert wurden und auf ihren neuen Besitzer warten. Da Japan kein Mitgliedsstaat der Europäischen Union ist, führt die überproduktionsbedingte Bildung einer Fahrzeughalde nicht zu einer Subventionierung (vgl. Butterberg, Milchsee etc.)., sondern zu einem unternehmensseitigen Abschreibungsbedarf, welcher freilich die Gewinnaussichten des Unternehmens trübt, was sich wiederum negativ auf den Aktienkurs auswirkt. – Moment mal! Seit wann hängt denn die Produktion eines Autoherstellers mit dessen Aktienkursentwicklung zusammen? Die Mär von der Korrelation könnte man höchstens einem leichtgläubigen Aufsichtsrat einer deutschen Landesbank unter die Nase reiben. Vorausschauende Unternehmenslenker hätten längst gegengesteuert und die gesamte unrentable Produktion von geländegängigen Kraftfahrzeugen eingestellt: Keine Autos, keine Überproduktion, keine Abschreibung auf nicht verkaufte Geländewagen, kein Gewinneinbruch, steigende Aktienkurse. Mittlerweile hat sich selbst unter BWL-Studenten herumgesprochen, dass es für jeden Automobilkonzern wirtschaftlich das Beste ist, überhaupt erst gar keine Autos mehr zu bauen. Und als Verbraucher kann man beim Autokauf einfach auf gebrauchte Autos zurückgreifen.

Der italienische Autodesigner Pininfarina ist jetzt mit gutem Beispiel vorangegangen. Er verzichtet künftig auf die Entwicklung neuer Fahrzeuge und hat sich stattdessen – auf seiner Vespa sitzend – von einem Auto überfahren lassen. Das ist eines Ferrari-Entwicklers zwar ein unkonventionelles und etwas unwürdiges Ableben, wirkt sich aber hoffentlich zumindest auf die Aktienkurse der Automobilhersteller positiv aus.

Viel braucht es nicht, um wichtig zu sein


Foto: ifranz.tv

In früheren Zeiten hat man seiner Bedeutsamkeit Ausdruck verliehen, indem man seinem Gegenüber eine Visitenkarte überreichte, auf der der eigene Name sowie die Anschrift verzeichnet waren, denn damals gab es weder E-Mail-Adressen noch Homepages. Hanseatische Kaufleute, die von morgens früh bis spät am Abend mit Ärmelschonern an ihren Stehpulten in hochherrschaftlichen Kontorhäusern standen, sorgfältig Buchhalternasen in ihre Handelsbücher zeichneten und redlichen Handel mit Kaffee, Kakao und Gewürzen aus fernen Ländern betrieben, überreichten ihren Geschäftspartnern zur Begrüßung eine solche bedruckte kleine Karte.

Diese wurden stets von einem Meister seines Handwerks in einer traditionellen Druckerey gefertigt. Bleisatz und handgeschöpftes Büttenpapier waren damals noch selbstverständlich, und wer eine solche Karte in Empfang nehmen durfte, war sich der Ehre bewusst, denn schließlich verteilte man diese kleinen Kunstwerke nicht wahllos an jedermann. Handel mit existierenden Waren, Papier und Kaufmannsehre enstammen alle aus einer lang vergangenen Zeit, die heute noch als Old Economy bekannt ist.

Heute hat man ein virtuelles Büro in einem Business Center oder bezeichnet seinen aufgeklappten tragbaren Computer und einen Tisch in einem Café mit W-LAN als sein Büro, wenn man nicht gerade mit seinem geleasten Cabriolet durch Schwabing düst und dabei lautstark, den Motorenlärm übertönend, in sein Taschentelefon brüllt, um gerade die neuesten Projekte anzuschieben. Sobald man einen Parkplatz gefunden hat, wendet man sich seinem Blackberry zu und versucht etwas Wärme in sein hektisches Leben zu bringen, indem man möglichst intensiv das Rädchen dieses Kommunikationswerkzeuges betätigt. Man macht etwas mit Internet oder mit Medien oder am besten gleich mit beidem und verfügt zu jeder Zeit und an jedem Ort der Welt über Business-Pläne, Best-Case-Szenarien, Exit-Strategien, Executive Summaries, SWOT-Analysen, Ruby on Rails, ein rosafarbenes Polohemd mit Kragen zum Hochklappen, ein schlecht sitzendes Jackett, jede Menge Haargel sowie eine Zehnerkarte für das Solarium. Was man darüber hinaus gern hätte, ist ein Gewinn nach Steuern in in siebenstelliger Höhe oder zumindest eine schwarze Null. Das Letzte, was man braucht, sind indes imponierende Visitenkarten.

Minderwertige Besuchskarten, wie sie der Druckautomat erstellt, der neben dem Paßbildautomat am Hauptbahnhof aufgestellt ist, berühren nicht nur den Empfänger, sondern mittlerweile sogar den aufstrebenden Jungunternehmer peinlich. Hochwertige Visitenkarten hingegen sind so teuer wie die Tagesmiete für das Büro: Der Preis eines einzelnen Exemplars entspricht ungefähr dem eines Halbfett-Latte-macchiatos mit Sojamilch und Karamellsirup to stay.

Vor diesem Hintergrund bedient sich der angehende Internetmillionär zunehmend eines Taschenspielertricks, auf den nicht einmal ein fusioniertes Gemeinschaftsunternehmen der Wirtschaftsgrößen Jürgen Schneider, Alexander Falk und Franjo Pooth gekommen wäre: man sammelt auf Konferenzen in einer Geschwindigkeit, als gälte es hierfür einen Eintrag in das Guinness-Buch der Rekorde zu erlangen, die Businesscards aller Teilnehmer ein, indem man versucht, ihnen möglichst glaubhaft zu versichern, selbst ein High-Potential mit unglaublich vielen extrem guten Kontakten zu den international bedeutendsten CEOs, CFOs und COOs zu haben. Diese guten Kontakte könne man selbstverständlich jederzeit weitervermitteln, da man selbst allerdings so extrem wichtig sei, habe man bereits in der letzten halben Stunde all seine zwanzig Visitenkarten, die man dabei gehabt habe, verteilt. Dies sei natürlich bedauerlich, aber da man ja nun im Besitz der jeweiligen Karte seines Gegenübers sei, könne man dieses ja auch gleich ganz bequem bei XING [Anm. d. Red.: bitte ggf. durch LinkedIn, Facebook oder StudiVZ ersetzen] kontaktieren und zu seinen anderen 1.273 XING-Kontakten, die man bereits auf diesem Wege erfolgreich generiert habe, hinzufügen. Auf dem Wege der Visitenkartenkostenvermeidung, für die man noch auf der Suche nach einem griffigen englischsprachigen Wort ist, um diese tragfähige Konzept auch angemessen an Investoren zu kommunizieren, aber auch als Konzept für andere Industriezweige zu vermarkten, hat das tolle neue Start-up nun schon die Büromiete der ersten drei Jahre komplett eingespart, was den Break-even in greifbare Nähe rücken lässt, solange die Rohstoffpreise für Kaffee stabil bleiben. Viel braucht es eben nicht, um wichtig zu sein – oder sich zumindest dafür zu halten. Dieses Prinzip ist besser bekannt als New Economy.

Monte-Carlo-Simulation

Monte Carlo
Foto: 7681

Was für eine schöne Vorstellung: strahlender Sonnenschein, blühende Palmen, exklusive Spielcasinos, hitzige Formel-1-Rennen, attraktive Boxenluder und luxuriöse Yachtclubs. Alles ist im Überfluss vorhanden. Die Reichen und Schönen räkeln sich gelangweilt am Swimmingpool, während sie genussvoll an ihren Cocktails schlürfen, die so dekadent fruchtüberladen sind, dass man mit ihnen leicht die Hälfte der Dritten Welt ernähren könnte. Mittendrin finden sich zahlreiche Menschen mit viel zu großen Sonnenbrillen. Das sind Steuerflüchtlinge oder Mitglieder der Fürstenfamilie, die nicht erkannt werden wollen.

Stattdessen simuliert ein Großrechner in einem tristen Außenbezirk Londons mittels eines komplexen mathematischen Verfahrens verschiedene Szenarien der möglichen Wertentwicklung eines Aktienfonds. Das nennt man Monte-Carlo-Simulation.

Verdi, Verdi, ver.di

ver.di

Verdi, Verdi, ver.di – überall sehe ich den großen italienischen Komponisten vor mir; zumindest seinen Namen in großen Buchstaben. Jedoch keine Oper, kein Requiem und nicht einmal sein nahezu unbekanntes Streichquartett erschallt. Stattdessen vernehme ich monotones Geklöppel und monströses Gehämmer. Passend zu der unwirtlichen Geräuschkulisse kann natürlich auch mein Auge weit und breit keine italienische Lieblichkeit ausmachen, denn ich befinde mich nicht in der Staatsoper, sondern in der U-Bahn-Hölle und vor mir sitzt eine übermäßig füllige Frau mit einem Schlüsselband, das zwar sehr lang ist, aber trotzdem kaum ihren Hals umfasst, da eben auch der Umfang ihres Halses sehr, sehr groß ist.

Das Schlüsselband ist rot und bedruckt mit dem Namenszug einer Gewerkschaft. Verdi, Verdi, ver.di muss ich schon wieder denken. Etwas Orchesterlärm mit Pauken und Trompeten, schön und gut, aber dieses Gewummer ist zuviel. Aus dem offenen Kopfhörersystem der massigen Person schallt ein Lärm, der eher an das Zeitalter der Industrialisierung als an die große Oper erinnert und das quietschende Fahrgeräusch der sich in den Tunnelkurven windenden U-Bahn bei weitem übertönt.

Früher haben Gewerkschaften für ihre Mitglieder bessere Arbeitsbedingungen erkämpft – dazu gehörte sicher auch weniger Lärm in den Betrieben der Schwerindustrie. Davon ahnt die Kopfhörerträgerin nichts, während sie in der Bahn sitzend vermutlich vom nächsten Arbeitskampf träumt, um eine kräftige Gehaltserhöhung für den nächsten Besuch im Technotanztempel zu erstreiken, von dem sie dann einen Tinnitus davontragen wird, für den sie dann ihren Arbeitgeber verantwortlich macht, wegen des andauernden Lärms im Betrieb. Dann wird sie ihren Arbeitgeber mit der Unterstützung der Gewerkschaft vor das Arbeitsgericht ziehen und den Arbeitgeber auf Schadensersatz zu verklagen, wovon sich die Schwerhörige dann einen neuen MP3-Player, noch mehr Technodiscobesuche und ein tiefergelegtes Auto mit großen Boxen finanziert.

Ich empfehle, mal wieder in die Oper zu gehen.