aber hab Angst
vor dem
der dir sagt
er kennt keinen Zweifel
(Erich Fried)
Unter den Linden, Berlin: Noch vor wenigen Jahren stand an dieser Stelle der Palast der Republik. 2005 hat ein norwegischer Künstler in sechs Meter hohen neonleuchtenden Buchstaben das Wort ZWEIFEL auf das Dach des Gebäudes der ehemaligen Volkskammer der DDR montiert. Heute befindet sich ebendort eine etwas unwirklich erscheinende Rasenfläche, in die jemand ein Herz geschabt hat.
Zweifel, so dachte er häufig, klingt eigentlich gut, und meinte dabei aber mehr den Sound als die Bedeutung des Wortes. Er zweifelte oft an sich und der Welt; an dem, was er tat oder nicht tat. Gelegentlich traf er auf Leute, die so überzeugt von sich und der Richtigkeit ihres Handels waren, dass er daran sogar verzweifelte.
2008 wurde das Gebäude abgerissen. Der Zweifel blieb.
Schwimmbecken des Hotels Panoramico in Funchal, Madeira
Immer wenn ich im Sankt Oberholz am Rosenthaler Platz, Berlin, meine Notdurft verrichte, denke ich an einen Swimming Pool. Weniger, weil ich als Kind gern in Nichtschwimmerbecken gepinkelt habe, was ich nie tat, sondern weil aus den Lautsprechern der mit sanitären Einrichtungen ausgestatteten Räumlichkeiten stets ein Hörspiel ertönt. Dies ist zwar in der Regel angenehm, verlängert aber gemeinhin meinen dortigen Aufenthalt nie länger als unbedingt nötig.
Warum nun aber diese eigenartige Konditionierung? In Zeiten des öffentlich-rechtlichen Depublikationsunwesens bereichert uns ausgerechnet die bayerische Rundfunksendeanstalt mit akustischen Perlen ungeahnten Ausmaßes: Lange über die ansonsten üblichen sieben Tage hinaus, beglückt uns Bayern 2 mit dem sogenannten „Hörspiel Pool“ in Form eines dauerhaft kostenlos herunterladbaren Podcastangebotes.
Hier finden sich keine von stumpfsinnigen Schauspielern unmotiviert abgelesene Romanfragmente, sondern größtenteils liebevoll bearbeitete Klangkunstwerke, die es anzuhören lohnenswert ist. Erfreuen auch Sie sich an Kafkas Process, Daths Abschaffung der Arten oder Goetz‘ Loslabern etc.
Und wenn Sie das nächste Mal in besagtem Café die Keramikabteilung besuchen, denken auch Sie an den Pawlowschen Pool.
Plötzlich wacht man auf und es ist schon wieder Valentinstag. Man kann nicht jedes Jahr einen Wurstbrief erhalten, denke ich, und hinterlasse im Twitteraturkritikblog ein paar flüchtige Zeilen über Fesselspiele und Kopflosigkeiten.
Das Internet gibt nicht viel her heute: Das Stimmungsbild in diesem Twitter schwankt zwischen Zynismus und Resignation, die Blogs schweigen sich aus (lediglich auf fnart.org finden sich ein paar ganz okaye Gedanken über den Zusammenhang von Sex und Liebe) und Flickr preist Herzchen auf Lebensmitteln an.
Meine Damen und Herren, zur Abwechslung etwas Erfreuliches: Das Meer. Ja ja, werden Sie jetzt sicher sofort sagen, und fragen, was daran erfreulich sein soll. Sie werden auf all die ertrunkenen Seeleute hinweisen, die bei rauer See am Kap der guten Hoffnung ihr Leben ließen, und auf Piraterie, die Wilhelm Gustloff und auf all die sich selbst überschätzenden Freizeitschwimmer, die auch von den vollbusigsten Baywatch-Retterinnen nicht mehr ins Leben zurückgeholt werden konnten. Vielleicht kommen Sie jetzt auch mit Offiziersanwärterinnen, die von der Takelage eines Segelschulschiffs fielen. Und obwohl sie das Wort „Takelage“ bis vor ein paar Wochen noch gar nicht kannten, werden Sie fragen, was an all dem erfreulich sein soll.
Wir schieben das – wie all die anderen unerfreulichen Dinge – einfach beseite. Obgleich ich nur ungern verreise, war ich zeitlebens immer gern am Meer. Für mich ist es nicht das Eintauchen ins Wasser, das den Reiz ausmacht. Darauf verzichte ich gern. Es sind der Blick in die Ferne, die endlose Weite, die gute Luft und das Rauschen der Wellen, die mich beglücken. – Am liebsten habe ich Spaziergänge am Meer im Herbst oder Winter, wenn es so richtig stürmt.
Aber auch im Sommer kann es am Meer einladend sein: Es ist Mitte August und die Sonne scheint. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie an der Nordsee. Natürlich möchte sie ins Wasser, hat aber keinen Badeanzug dabei. Im Drogeriemarkt des Ortes erwerben wir zu einem überhöhten Preis den schrillfarbigsten Bikini, den die Welt je gesehen, und ein Handtuch von einer Häßlichkeit, dass nicht einmal Touristen an mallorquinischen Swimmingpools es wagten, mit einem solchen Liegestühle zu blockieren. Aber das ist egal, denn es geht um das Gefühl, einmal, wenn auch nur für einen kurzen Moment, im Meer zu baden. Sie genießt es. Ich sitze am Strand und es ist schön, ihr dabei zuzuschauen. Ein frischer Wind weht mir um die Nase und trotzdem ist es angenehm warm. In trinke einen Schluck Bier aus der Flasche und in meinem Kopf summt Charles Trénet „La mer“.