Reiterstaffel bleibt!

Hoch zu Pferde stärken Hamburger Polizisten das „subjektive Sicherheitsgefühl“ der Bürger. Doch während des Abzettelns von Falschparkern im Innenstadtbereich muss stets ein Reiter auf dem Rücken des Rössels bleiben, um auf das Nutztier des anderen Obacht zu geben: Soll es doch weder davonlaufen, von einem urbanen Pferderipper niedergestreckt werden oder sich seines Pferdemists auf offener Straßen entledigen. Letzteres hätte zur Folge, dass wiederum ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes, der ansonsten damit beschäftigt ist, Herrchen herumkotender Hunde mit Ordnungsgeldern zu beschweren, die berittenen Kollegen und Helfer mit einem Knöllchen auszustatten. Nicht auszudenken, was dieser Ordnungsgeldkreislauf für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der Reiterstaffel zur Folge hätte. Ein Gutachten der Innenbehörde hat ergeben, dass der Nutzen der behottehüten Schutzmänner die Kosten von rd. 500.000 Euro pro Jahr überwiegt. Obwohl Pferde im urbanen Raum laut Aussagen von Tierschützern eher untauglich sind, weil sie bei Großdemonstrationen viel lieber fröhlich wie auf einer Wiese durch die Menschenmenge davongaloppierten oder das weit verbreitete Kopfsteinpflaster scheuen, will die Freie und Hansestadt Hamburg die Reiterstaffel weiter ausbauen. Ich bin froh, in einer Stadt leben zu dürfen, in der die innere Sicherheit auch auf dem Rücken der Pferde verteidigt wird.

Sibylle Berg liest: Vielen Dank für das Leben

Man muss sich schon etwas einfallen lassen heutzutage. Während Frau Berg liest, springt zeitgleich irgendwo ein Fallschirmspringer aus über 36.000 Metern Höhe herunter, ohne dass ihm ein koffeinhaltiges Erfrischungsgetränk dabei Flügel verleiht. Weltrekord. Die dieses Ereignis im Internet verfolgt habenden Menschen werden später zu Protokoll geben, dass sie sich dabei gefühlt haben, wie einst ihre Eltern, als sie am Schwarz-Weiß-Fernseher die Übertragung der Mondlandung sahen.

In einer ehemaligen Kranfabrik in Hamburg sitzt Sibylle Berg und liest aus ihrem neuen Buch „Vielen Dank für das Leben“ und sie liest natürlich nicht einfach nur Seite für Seite vor, denn das könnte man ja auch selbst machen, ohne dafür 18,- Euro Eintritt bezahlen zu müssen, sondern sie bietet einen sogenannten Mehrwert in Form eines Gesamtkunstwerks: Szenische Lesung trifft Filmkunst trifft Musik. In verteilten Rollen liest die Autorin, die, so sie, mit Antibiotika vollgepumpt ist, gemeinsam mit den Schauspielern Katja Riemann und Matthias Brandt, und das ist gut, denn so ermüden weder Sprecher noch Publikum. Auch wenn man den Roman bereits kennt, ist das Zuhören ein Vergnügen, denn der gekonnte Vortrag ist natürlich auch eine Kunst, von der mich lediglich meine Sitznachbarin, die auf ihrem Telefon unablässig „Snake“ spielt, abzulenken vermag. Zwischendurch immer wieder großartig verstörende Filmeinspieler in schwarz-weiß, aufgenommen mit einer ruckelnden Handkamera, die das soeben Gehörte noch einmal rekapitulieren. Und wunderbare Musik von Mary Ocher, die das Klavier genauso unbeholfen bearbeitet wie die Gitarre, und die mit ihrer Stimme, über die meistens ein blecherner Filter gelegt ist, mal sanft haucht und mal kraftvoll brüllt. Finale mit Streichquartett, das so anrührend ist, dass mir die Tränen kommen. Toll.

Und dabei wollte ich erst gar nicht kommen, weil Lesungen mich zunehmend langweilen, aber Frau Berg rief, das heißt, eigentlich schrieb sie, dass ich kommen solle, und dass es doch schön wäre usw. Und natürlich war es das dann auch. Artig stehe ich im Anschluss der Veranstaltung in der Schlange, um mir mein Buch signieren zu lassen. Warum mir ständig die Frauen wegliefen, fragt Frau Berg ohne Umschweife und mit strengem Blick, aber zum Glück bin ich nicht der Letzte in der Autogrammwunschschlange und habe deshalb keine ausreichende Gelgenheit, eine ausführliche Antwort geben zu müssen. Nachdem sie bei unserer letzten Zusammenkunft zum Auswandern nach Island riet, schreibt mir Frau Berg ins Buch, dass ich nach Schweden gehen solle, weil dieses Berlin, wie sich gezeigt habe, auch keine Lösung sei, und weil in Schweden alle so schön seien usw. Dann Bier aus Flaschen mit Menschen und nicht losgehen wollen, aber irgendwann doch müssen. Vielen Dank für den Abend.

Angela Richter: Assassinate Assange

Vor dem Besuch des Theaterstückes keine der vernichtenden Kritiken lesen, wie man überhaupt das Feuilleton vermeiden muss, weil es einen immerzu, mehr noch als der Politikteil, aufzuregen vermag. Kalenderwoche 39, Kampnagel, ehemalige Kranfabrik, Hamburg-Barmbek: Angela Richter ist Regisseurin und Theaterautorin. Sie interessiert sich für Julian Assange und Wikileaks. Letzteres braucht Geld, um seine Arbeit fortzuführen, zu diesem Zweck wird ein Abendessen mit Assange versteigert, Richter nimmt 1.600 Euro in die Hand und trifft ihn, auch danach noch mehrere Male.

Hunderte von Interviewfragen, hunderte von Antworten, Protokolle, Briefe, Dokumente, all diese fließen hinein in das Theaterstück. Realität und Fiktion vermischen sich, dass einem schwindelig wird. Collage. Drei Aspekte: Die Enthüllungen auf Wikileaks, der Starkult um die Person Assange, die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange. Alles spielt hier irgendwie eine Rolle, alles wird vermengt, alles bleibt unklar. Zum Schluss berichtet Assange von seinem Traum, in dem Saddam Husseins Gehirn in seine, Assanges, Gebärmutter transplantiert wird.

Nach der Aufführung treffe ich Malakoff Kowalski, der die dargestellte Wirrness mit wunderbarer Musik begleitete. Er fragt mich, wie ich es fand, ich bin ratlos, wir trinken ein Bier. Es bleiben Fragen, aber keine Antworten. „Theater ist kein Dokumentarfilm“, sage ich. Dann trinken wir noch ein Bier.

Generation Generationsbuchautor

Kunstwerk der Generation Readymade.

Jeder lebt in seiner eigenen Welt,
aber meine ist die richtige.
(Lassie Singers)

Wir. Wir fahren ein bestimmtes Automodell. Wir sind Männer mit zu vielen Gefühlen oder Frauen mit zu wenigen. Wir sind überfordert mit unseren Jobs. Wir sind irgendwie anders als die anderen. Wir machen Praktika. Wir schenken unsere Aufmerksamkeit nur noch unseren Smartphones. Wir arbeiten in Agenturen oder Redaktionen. Wir werden es einmal schlechter haben als unsere Eltern. Wir lieben uns, aber nicht mehr einander. Wir sind das Prekariat. Wir sind blutwurstmögende Vegetarier. Wir sind Journalisten. Wir sind Inkludisten. Wir umarmen alle. Wir sind wir. Wir kommen nicht mehr dazu, unser Leben zu leben, weil wir ständig damit beschäftigt sind, das Verhalten unserer Altersgenossen in neue Generationsbücher zu verpacken. Anschließend touren wir durch die allabendlichen Talkshows der Republik und verkaufen die Mär vom X, dem Golf, dem Internet oder dem Schmerzensmann. Werden wir kritisch dazu befragt, ob wir den von uns ersonnenen Generationsbegriff nicht vielleicht doch zu weit gefasst haben, verweisen wir auf ein naturgemäß einleuchtendes Einzelschicksal aus dem von uns verfassten Buch. Denn wenn wir es dort geschrieben haben, dann muss es ja stimmen undsoweiter. Wir sind die Generation Einzelschicksal. Dabei wollen wir eigentlich nur eines sein: die Generation Generationsbuchautor.