John Scofield, 15. Januar 2021, Elbhilharmonie, Hamburg

Wie ungewohnt, nach langer Zeit mit 500 Menschen in einem Raum, dicht an dicht nebeneinander zu sitzen. Ein bißchen fühlt es sich an wie Russisches Roulette. Lange habe ich überlegt, ob ich es wirklich wagen soll, dann die Testsieger-FFP2-Masken bestellt und dann rein in den kleinen Saal der Elbphilharmonie.

Eigentlich soll das Konzert jetzt beginnen, aber die Röhrenverstärker sind noch nicht einmal auf Betriebstemperatur. Neben mir in der hintersten Reihe unterhalten sich zwei ältere Damen „Hast du schon einmal was von John Scofield gehört?“ – „Nein,“ so die andere, beide erfreut über ihre Neuneurotickets und voller Spannung darauf, was der Abend für sie wohl bringen mag. Dann geht alles ganz schnell, ein Mann schaltet die Verstärker ein, ein paar Minuten des Vorheizens und der Meister erscheint.

Da sitzt er nun, John Scofield, ganz allein auf der Bühne, nur er, der 70jährige amerikanische Jazzgitarrist. Na ja, fast, denn mit ihm sind seine Gitarre, zwei Verstärker und ein paar Effektpedale. Für die Begleitung sorgt er selbst mittels kurzer Loops, die er zu Beginn der Stücke aufnimmt. All das passiert sehr natürlich, keine stumpfen Abfolgen von Akkorden, sondern geschickt mit einander verflochtene harmonische und rhythmische Versatzstücke. Der Mann mit immer leicht angerauten Gitarrenton ist eine Legende, er spielte schon mit Miles Davis, Charles Mingus und Chet Baker. Er sagt, dass er sich freut, nach längerer Coronapause, wieder einmal auf einer Bühne spielen zu können, und zeigt die große Bandbreite – eigene Kompsitionen, Standards (‚That Old Feeling‘, Hank Williams (‚Angel of Death‘), Beatles (‚Julia‘) und Rolling Stones (‚Not Fade Away‘).

Alles ist sehr bewegend, jeder Ton ist wohl überlegt, nichts ist zu viel. So auch jedes seiner wenigen Worte an diesem Abend. Pharoah Sanders ‚The Creator Has a Masterplan‘ leitet er ein mit den Worten „Ich hoffe, den hat er wirklich.“ Das hoffe ich auch, während ich in den kommenden Tagen darauf warte, dass meine Corona-Warn-App auf rot umspringt. Danke für den Abend, und hoffentlich bis bald, Sco …

Die Sonnenmaschine kommt runter

„The sun machine is coming down,
and we’re gonna have a party.“
(David Bowie, Memory of a Free Festival Part 2)

Es ist ja nicht so viel passiert in diesem Jahr, zumal kulturell. Immerhin ist die Sonnenmaschine runtergekommen. Und so ist halb Berlin in das seit vielen Jahren für die Öffentlichkeit nicht mehr zugängliche retro-futuristische Kongressgebäude geströmt, um das Wunderwerk noch einmal von innen bestaunen zu können. Die Berliner Festspiele gaben sich die Ehre. Performances, Artistik, Architektur, Installationen und Filme waren Nebensache. Lange Warteschlangen, zu kleine Räume, aber egal, denn gefeiert wurde vor allem die Architekturikone.

Für Tino Sehgals „This Joy“ habe ich mich dann doch eingereiht, ein bißchen Freude kann in diesen Zeiten nicht schaden und Beethoven hat von seinem 250. Geburtstag im Corona-Jahr 2020 ja auch nicht viel gehabt. Tanz und Gesang lassen mich in dem kleinen stickigen fensterlosen Raum verweilen, länger als erwartet.

Der Rest ist Streifen durch die endlos langen Gänge und riesigen Säle. Wunderbar, genau wie auch Thomas Balzers Dokumentarfilm „Ein Ufo im Wartestand“ aus dem Jahr 2016, in dem er noch einmal mit der Architektin Ursulina Schüler-Witte die Räume begeht.

Danke, Sonnenmaschine, dass du noch einmal runtergekommen bist.

Akkoredeonroboter

Seit einigen Wochen schon sitzt der junge Mann Tag für Tag an
immer derselben Stelle in der Innenstadt. Frei von jeglicher Begeisterung, unter Ausschluss von Rhythmusgefühl und harmonischer Raffinesse spielt er auf seinem Akkordeon die immer gleichen einfachen Lieder. Er zeigt dabei keinerlei Emotion, sein Gesichtsausdruck ist starr, mechanisch drückt er die Knöpfe seines Instruments. Er wirkt wie ein Akkordeonroboter. Vor ihm ein Schild: „Ich sammle für mein Musikstudium“. 

Mag sein, dass er ein heißer Anwärter auf den Unbegabtenpreis 2018 ist. Vielleicht ist er aber auch der größte musizierende Komiker seit Studio Braun.

Peter Handke: Antiquariat und Film

Peter Handke, Der Hausierer

Im Antiquariat brennt noch Licht, obwohl es bereits spät ist. Ein Touristenpaar verirrt sich hinein, ich folge ihnen, der kundige ältere Herr in dem Neuköllner Ladengeschäft empfiehlt ihnen dieses und jenes.

Kürzlich habe ich den Dokumentarfilm Bin im Wald. Kann sein, daß ich mich verspäte. gesehen. In den sehr langen Einstellungen passiert erfreulich wenig: Peter Handke putzt Pilze, fädelt Fäden ein (ungeschickt), sägt einen Ast, serviert Suppe, liest Zeitung, hämmert auf einer mechanischen Schreibmaschine, sitzt vor dem Haus (barfuß), spitzt einen Bleistift, geht spazieren (Paris). Dabei bekommt man einen Einblick in die Gedankenwelt des Schriftstellers („Wie das geht, mein lieber Herr. Was ist Prosa? Weiß man nicht, wie’s geht. Man hat irgendwas in sich.“) Das war schön. Jedenfalls so schön, dass ich wieder Handke lesen möchte.

Im Antiquariat ergreiffe ich einen dünnen Band – Der Hausierer. „Macht einen Euro“, sagt der Antiquar. Ich antwortete, dass das zu wenig sei und handle den Preis auf zwei Euro hoch. Zu Hause angekommen lege ich das Buch auf den Stapel der ungelesenen Bücher (hoch).

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