Antiquariat – reingehen oder nicht und wenn ja, was dann?

Das Antiquariat war seit jeher ein dankbarer Topos in diesem Blog. Nun aber haben seit heute Buchhandlungen, zu denen auch die Antiquariate zählen, in Hamburg seit heute wieder geöffnet. Auf einer meiner bevorzugten Spaziergehrouten, die ich seit dem Aufkommen der Coronakrise für mich entdeckt habe, befindet sich ein Antiquariat, das ich noch nie betreten.

Seit heute, da die Möglichkeit tatsächlich zum ersten Mal besteht, stellt sich mir weniger die Frage, ob Reingehen ja oder nein, sondern vielmehr, wenn Reingehen und nichts Brauchbares finden, trotzdem etwas für den Stapel der auf ewig ungelesenen Bücher kaufen, ja oder nein?

Wie auch immer, solange Letzteres nicht abschließend beantwortet, betrete ich das Antiquariat nicht. Ich bitte in dieser Frage dringend um Hilfe. Danke.

Stiefel

Dr. Martens

Reparieren oder wegschmeißen? Jetzt nicht die vergangenen zwölf Monate, sondern einfach nur ein paar Stiefel. There’s a crack in everything, that’s how the light get’s in, ja ja, schön und gut Leonard, aber doch nicht unbedingt im Oberleder. Also, eingepackt, das vom gröbsten Schmutz befreite Schuhwerk in einen Baumwollbeutel. Die für solche Zwecke so praktischen Plastiktüten sind schließlich bereits seit einiger Zeit vollständig aus der Welt verschwunden.

Ob man noch etwas retten könne, an meinen Docs, frage ich die Schuhmachermeisterin und sie nimmt die Stiefel in die Hand und betrachtet sie sorgfältig, und ja, es würde sich noch lohnen, denn insgesamt, sei der Zustand noch ganz gut und sie erklärt mir, warum der Riss vorn an der Kappe unvermeidbar ist. (Weil das Leder aus dem Schuh von einem zu kleinen Stück Leder komme und an den Rändern sei es nun einmal nicht so fest wie ein mittigeres Teil, das dort, wo sich beim Gehen die Falte bildet, eigentlich erforderlich usw. Die genauen Schuhfachbegriffe sind mir naturgemäß zwischenzeitlich entfallen.)

All das klingt plausibel und wir wollen ja weg von diesem Fast-Fashion-Ding und ob sie bei der Gelegenheit auch die schon etwas durchgelatschten Sohlen gegen etwas Rutschfestes austauschen könne. Kein Problem, macht 110 Euro und ich schlucke. Da mein Vertrauen in die Handwerkskünste der Schuhmacherin und Sattlerin, die mir genau Materialeinsatz und Arbeitsaufwand erläutert, das allergrößte ist, erteile ich achselzuckend den Auftrag. Den goldenen Boden des Handwerks düngt man schließlich gern.

Eine Reparatur, die höher ausfällt als die Hälfte des Anschaffungspreises, gilt wohl gemeinhin als ein Totalschaden. Aber es sind weniger der emotionale mit den Schuhen verbundene Wert noch der Aspekt der Nachhaltigkeit, die mich veranlassen, die Botten instandsetzen zu lassen. Es ist vielmehr die schmerzhafte Erinnerung an die ersten sechs äußerst qualvollen Wochen des Einlaufens, die bei dem Kauf eines Paares neuer Stiefels zwangsläufig erneut auf mich zukämen, die mich an meine alten Stiefel binden.

So nehme ich nach einer Woche das instandgesetzte Schuhwerk freudig entgegen, genau rechtzeitig vor dem Einbruch der Wintersaison. Ich hatte die Docs schon eine Weile nicht getragen – und zu meiner allergrößten Enttäuschung muss ich feststellen, dass sie etwas drücken und ich sie nun ein zweites Mal unter schmerzhafter Blasenbildung einlaufen muss. Das ist zwar unschön, aber immerhin nachhaltig. Die Blasen sind mittlerweile wieder verschwunden und die Stiefel immer noch da. Hoffentlich bleiben sie mir lange erhalten.

Willy Brandt steuert den Schlitten

Marlis Vater war Willy Brandt und er steuerte den Schlitten. Natürlich, wie es sich für Willy Brandt gehört, nicht irgendeinen, sondern einen ganz besonderen. Der Schlitten bestand aus einem Ohrensessel, unter dem als Kufen Skier montiert waren. Dieser wurde von einem Pferd gezogen. Kein elegantes Dressurpferd, sondern wie es sich für einen Arbeiterführer gehört, ein eher rustikales Brauereipferd. Hinter dem Schlittensessel, und das war das besonders Tolle, wurden die Rodelschlitten der Kinder aus der Nachbarschaft mit dicken Seilen angebunden. Pferd, Ohrensessel mit Skiern, Rodelschlitten, Rodelschlitten, Rodelschlitten etc. So eine Fahrt war ein großer Spaß, damals, als Schnee im Winter noch etwas ganz Normales war.

Kurze Zeit später entdeckte ich zufällig Marlis Vater im Fernsehen. Es muss zu einer Zeit gewesen sein, als ihr Vater noch ein sehr aktiver Politiker gewesen war. Ich wunderte mich zwar, dass der Ohrensesselschlittenmann an prominenter Stelle über Dinge sprach, die ich nicht verstand, dachte aber fast 40 Jahre nicht mehr über diese Merkwürdigkeit nach.

Mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit war Willy Brandt nicht der Vater von Marlis aus der Nachbarschaft. Aber er sah genau so aus. Und er hätte es sein können.

Sharing Economy

Münzwaschautomat

Teilen von Dingen, die man nur selten benutzt, ist eine gute Sache. In unserem Mietshaus teilen die Nachbarn eine Waschmaschine im Keller. Um nicht auch noch die durch den Waschvorgang verursachten Energiekosten zu teilen, begleicht der Nutzer diese, indem er eine Münze in einen grauen Kasten einwirft. Geht alles gut, wird der für den Waschvorgang erforderliche benötigte elektrische Strom freigegeben.

Aber warum sollte es nicht gut gehen, mag sich der aufmerksame Leser an dieser Stelle fragen. Die Hausverwaltung scheint am Trend der Gamification von allem Möglichen Gefallen gefunden zu haben. So hat sie die wundersame Kombination aus Wäschewaschen und Glücksspiel erdacht. In der Praxis führt dies dazu, dass der Wäschewaschende in der Waschküche vor dem kleinen grauen Kasten steht und seine 1-Euro-Münze in einen kleinen Schlitz wirft. Ein komplizierter Algorithmus im inneren des Apparates entscheidet dann, ob der Stromkreislauf geschlossen wird oder eben nicht.

So wird jedes Wäschewaschen zu einem kleinen Casinobesuch. Die Menge an ausgeschütteten Glückshormonen nach einem erfolgreichen Münzeinwurf ist unermesslich. Vor allem, wenn es gleich beim ersten Versuch gelingt. Bei einem Misserfolg wird das Gehirn des Glückswäschers dergestalt getriggert, dass man geneigt ist, sein gesamtes Kleingeldvermögen in dem grauen Kasten zu versenken, um nur nicht den beschwerlichen Weg in den nahegelegenen Waschsalon antreten zu müssen. Wohl dem, der eine ausreichende Anzahl an Silbermünzen in der Hosentasche sein Eigen nennen darf.

Die Kombination aus Wäschewaschen und Glücksspiel ist genial. Einerseits das Bedürfnis nach sauberer Wäsche, andererseits der unbändige menschliche Spieltrieb. Für die Hausverwaltung gehört beides zusammen. Spornstreichs hat sie einen Thinktank ins Leben gerufen, um erforschen zu lassen, wie sich Wasch- und Glückspielsalons am profitabelsten fusionieren ließen und ob das Business besser als Waschglück oder Laundrothek an die Börse zu bringen sei. Bei jedem nervengekitzelten Waschvorgang erfreut mich der Gedanke an den Businessplan ein wenig. Vielleicht ist es aber doch ein ganz banaler Wackelkontakt.