München, ehemals Weltstadt mit Herz. Mal auf den Spuren König Ludwigs I., mal im Jüdischen Museum. Worte, die ich hier immer wieder sage, weil sie gut klingen, meine jeweilige Begleitung aber fast in den Wahnsinn treiben: mal Hacker-Pschorr, mal Oachkatzlschwoaf. Immer Sonnenschein, Surfer auf der Eisbachwelle und Bier im Englischen Garten etc.
Ich denke, dass alles immer so weitergehen müsse, aber das tut es naturgemäß nicht.
„Das Schönste an München ist
der Rückflug nach Hamburg.“
(Helmut Schmidt)
Plötzlich sitzt man nicht mehr in seinem geliebten französischen Café in Hamburg-Winterhude, sondern steht in einer italienischen Bar in Berlin-Kreuzberg. Hier wie da blättere ich in der Zeitung und erfreue mich auf Seite drei an einer Reportage über den Hamburger Schriftsteller Uwe Timm, in dessen bekannter Novelle einst zufällig die Currywurst entdeckt wurde.
Der Schriftsteller berichtet von seiner Hassliebe zur Hansestadt, die mit ihrer bürgerlichen Großkotzigkeit immer mehr Metropole sein möchte, als sie tatsächlich ist, und seiner Zuneigung zu München, wo immerzu die Sonne scheint. Berlin hingegen ist einfach nur da – egal.
Ich schlürfe an meinem noch heißen Cappuccino, beiße in mein üppig mit Schinken und Käse belgtes Panino und lächle ein in mich gekehrtes Lächeln. Ich blicke aus dem Fenster, hänge ein wenig den Gedanken nach und zahle passend. Ciao. Tschüs.
Und wat machste für’n Theater um jeden neuen Tach,
Wenne Mittwoch überlebst, dann is Donnerstach.
(Missfits)
Manche Tage sollten nie stattfinden. Die schlimmsten Wochentage sind: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag.
Gestern war wieder einer von diesen schlimmen Tagen. Ich dachte ausnahmsweise einmal nichts Böses und parkte mein Fahrrad vor einer gut besuchten öffentlichen Einrichtung. Als ich zurückkam, stand es noch genauso da, wie ich es verlassen hatte. Allerdings bemerkte ich nach einigen Metern eine gewisse Instabilität, welche mich fast aus dem Gleichgewicht gebracht hat.
Ein so genannter Mitmensch hatte doch tatsächlich, während ich in der Bücherhalle weilte, die zwei Schrauben, welche meinen Gepäckträger am Rahmen befestigten, unerlaubt entfernt; ja, geklaut, um es beim Namen zu nennen. Jetzt hat die Krise auch den Fahrraddiebstahlmarkt erreicht, dachte ich. Wurden früher wenigstens noch ganze Farräder geklaut, begnügt man sich heute schon mit der heimlichen Abmontage von lumpigen Ersatzteilen. Was diesem Land fehlt, sind Visionen. Und ich will jetzt nicht von Helmut Schmidt reden, denn der ist in seinem ganzen Leben vermutlich noch nie Fahrrad gefahren. Aber wer nicht einmal den Mumm hat, ein vollständiges Zweirad zu klauen, dem kann auch kein Arzt mehr helfen.
Wutschnaubend bin ich in die Fahrrad-Selbsthilfe-Werkstatt in der Nähe der Universität gefahren, welche mir noch aus der Zeit, als der Drahtesel meiner ehemaligen Mitbewohnerin hier ein gerngesehener Dauergast war, gut bekannt war. In der Werkstatt befand sich ein halbes Dutzend schwitzender und ölbeschmierter Do-It-Yourself-Fahrrad-Mechaniker und ungefähr doppelt soviele Fahrradwerkstatts-ABM-Kräfte, die ihnen gefragt und ungefragt mit klugen und vermeintlich klugen Ratschlägen zur Seite standen, aber aus Haftungsgründen niemals selbst Hand anlegten (außer bei ganz verzweifelten hübschen, jungen Damen). Meistens machten die ABM-Kräfte allerdings Pause, rauchten selbstgedrehte Zigaretten und tranken Kaffee aus der Thermoskanne. In der für kleinere Notfälle bereitstehenden „Grabbelkiste“ mit Ersatzteilen gab es natürlich keine passenden Schrauben, also erwarb ich ein Paar samt Muttern in der zum Betrieb gehörenden „Meisterwerkstatt“.
Mein Gepäckträger ist jetzt unlösbar mit Sicherheitsschrauben mit dem Rest des Vehikels verbunden. Dank Assistenz eines qualifizierten Mitarbeiters, der gerade Pause von der Pause machte, konnte ich diese auch mittels eines chirurgischen Eingriffs (ein alter Fahrradkorb war im Wege, aber durch ein Schloss untrennbar mit dem Gepäckträger verbunden, was die Operation unnötig verkomplizierte), sofort anbringen. Ich zahlte drei Euro für die Schrauben, die nun sicherlich das Wertvollste an meinem Fahrrad sind, spendete zwei Euro für die Kaffeekasse und kaufte bei dieser Gelegenheit auch gleiche eine Fahrrad-Vodoo-Puppe. Bei dieser steche ich nun täglich in die Reifen und lockere alle sicherheitsrelevanten Schrauben – auf dass es dem Schraubendieb bei seinen Fahrradfahrten künftig schlecht ergehe. Irgendwann möge er für seine Tat auf ewig in der Fahrrad-Selbsthilfe-Werkstatts-Hölle schmoren.
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