Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.
(Blumfeld, Verstärker)
Bei gleißendem Sonnenlicht in einem abgedunkelten Aufnahmestudio stundenlang in Kopfsprechhörer reden und unter den Ohrmuscheln beginnen zu schwitzen. Dabei Bier trinken und zahlreiche Gedanken, die nicht die meinigen sind, vorbeiziehen lassen. Gleichzeitig an einem Tisch sitzen und doch woanders sein. Einfach so.
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Josef Hader – Ende der Diskussion
Immer wenn ich im Sankt Oberholz am Rosenthaler Platz, Berlin, meine Notdurft verrichte, denke ich an einen Swimming Pool. Weniger, weil ich als Kind gern in Nichtschwimmerbecken gepinkelt habe, was ich nie tat, sondern weil aus den Lautsprechern der mit sanitären Einrichtungen ausgestatteten Räumlichkeiten stets ein Hörspiel ertönt. Dies ist zwar in der Regel angenehm, verlängert aber gemeinhin meinen dortigen Aufenthalt nie länger als unbedingt nötig.
Warum nun aber diese eigenartige Konditionierung? In Zeiten des öffentlich-rechtlichen Depublikationsunwesens bereichert uns ausgerechnet die bayerische Rundfunksendeanstalt mit akustischen Perlen ungeahnten Ausmaßes: Lange über die ansonsten üblichen sieben Tage hinaus, beglückt uns Bayern 2 mit dem sogenannten „Hörspiel Pool“ in Form eines dauerhaft kostenlos herunterladbaren Podcastangebotes.
Hier finden sich keine von stumpfsinnigen Schauspielern unmotiviert abgelesene Romanfragmente, sondern größtenteils liebevoll bearbeitete Klangkunstwerke, die es anzuhören lohnenswert ist. Erfreuen auch Sie sich an Kafkas Process, Daths Abschaffung der Arten oder Goetz‘ Loslabern etc.
Und wenn Sie das nächste Mal in besagtem Café die Keramikabteilung besuchen, denken auch Sie an den Pawlowschen Pool.
Eisig und weiß liegt die Flur,
es wird Nacht und es schweigt die Natur,
ein Anblick so vertraut,
noch einmal und es taut
der Schnee
(Blumfeld)
Hamburg: 4 Grad. Zehn Tage war ich nicht in der Stadt. Es ist nun wahrlich nicht so, dass plötzlich der Frühling ausgebrochen wäre, aber es taut doch merklich. Noch immer muss man Obacht geben, nicht auszurutschen. Wer jetzt hinfällt, wird unangenehm nass — da ist ein blauer Fleck noch das kleinere Übel.
In Berlin habe ich unter der Dusche immer Radio gehört. Radio höre ich sonst nie. Man hört dort Musik, die man gar nicht hören will, und erfährt dort Dinge, die man gar nicht wissen will. Vorgestern habe ich erfahren, dass jemand das Gewicht des in der Hauptstadt liegenden Schnees in Elefanten umgerechnet hat — um sich das besser vorstellen zu können: vier Milliarden Elefanten (vielleicht waren es auch nur vier Millionen). Eine tolle Einheit ist das, jetzt kann ich mir alles viel gleich viel besser vorstellen und frage mich, warum die Schneemenge nicht in Fußballfelder umgerechnet wurde. Wo doch sonst immer alles in Fußballfelder umgerechnet wird. Aber auch in Berlin wird der Schnee irgendwann schmelzen und ich bin gespannt, in welche Einheit man dann die dabei freigesetzte Menge an Flüssigkeit umrechnen wird. Milchseen oder Champagner-Doppel-Magnum-Flaschen wären eine probate Maßeinheit. Fußballfelder sind doch zu zweidimensional; schade eigentlich.
In Hamburg höre ich kein Radio unter der Dusche. Hier hat sich nichts verändert. Das Sofa im Café steht noch immer im Keller. Der Schnee schmilzt.
Das Gute am Radio ist, dass die handelnden Personen normalerweise nicht zu sehen sind. Jeder, der einen zu großen Kopfhörer mit angebautem Mikrofon trägt, sieht im besten Falle aus wie ein Flugzeugpilot kurz vor der Bruchlandung. Die meisten erinnern jedoch unwillkürlich an Domian, der in seiner nächtlichen Radiosendung versucht, verlorene Seelen zu retten. Dieses Vorhaben ist an sich lobenswert, jedoch sollte man niemanden im Fernsehen zeigen, wie er in einem engen Radiostudio sitzt und über ein Headset mit Menschen telefoniert, die gerne Sex mit Hackfleisch haben.
Ich war heute beim NDR zu Gast und saß in einem Autarkstudio. Man sitzt dort ganz allein in einem schallisolierten Raum und hat einen Kopfhörer auf, genau wie Domian. Minutenlang hörte ich über den Kopfhörer ausschließlich das Geräusch meines eigenen Atems, sonst nichts. Plötzlich meldet sich eine fremde Stimme, die zu einem Menschen in einem anderen Teil der Republik gehört, und stellt mir ein paar Fragen. Obwohl es in dem Interview um Twitkrit ging, musste ich dabei die ganze Zeit an Hackfleisch denken. Twitkrit ist ein Fachblog für Twitterturkritik, das ich gemeinsam einigen anderen Bloggern betreibe – im Gegensatz zu den Problemen, die Domians Klienten mit sich herumtragen, eine eher lustige Angelegenheit. Wir verfolgen keine kommerziellen Ziele und haben auch nicht vor, die Welt zu retten. Angesichts meines lauten Atems und der Gedanken an Hackfleisch fiel es mir jedoch nicht leicht, dem Interviewer zu erklären, dass unser Projekt weniger bierernst zu verstehen sei (wovon mein Gesprächspartner eigentlich ausging), sondern mehr mit Bierspaß zu tun habe.
Und weil dem so ist, gibt es auch schon bald wieder eine Twitterlesung: Am 2. April 2009 um 21 Uhr in Berlin – ganz ohne Hackfleisch, dafür aber mit Bier.
—
Nachtrag 23.03.2009: Hier findet sich mein Interview mit der Deutschen Welle.
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