Rolf Dieter Brinkmann: Alles macht weiter

In diesem Haus in Köln wohnte einst der Dichter Rolf Dieter Brinkmann.

Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Rock’n’Roll-Sänger machen weiter, die Preise machen weiter, das Papier macht weiter, die Tiere und Bäume machen weiter, Tag und Nacht macht weiter, der Mond geht auf, die Sonne geht auf, die Augen gehen auf, Türen gehen auf, der Mund geht auf, man spricht, man macht Zeichen, Zeichen an den Häuserwänden, Zeichen auf der Straße, Zeichen in den Maschinen, die bewegt werden, Bewegungen in den Zimmern, durch eine Wohnung, wenn niemand außer einem selbst da ist, Wind weht altes Zeitungspapier über einen leeren grauen Parkplatz, wilde Gebüsche und Gras wachsen in den liegengelassenen Trümmergrundstücken, mitten in der Innenstadt, ein Bauzaun ist blau gestrichen, an den Bauzaun ist ein Schild genagelt, Plakate ankleben Verboten, die Plakate, Bauzäune und Verbote machen weiter, die Fahrstühle machen weiter, die Häuserwände machen weiter, die Innenstadt macht weiter, die Vorstädte machen weiter … Auch alle Fragen machen weiter, wie alle Antworten weitermachen. Der Raum macht weiter. Ich mache die Augen auf und sehe auf ein weißes Stück Papier.

Rolf Dieter Brinkmann, Westwärts 1 & 2, 1975

Kaktus

Auch alle Fragen machen weiter,
wie alle Antworten weitermachen.
Der Raum macht weiter. Ich
mache die Augen
auf und sehe auf
ein weißes Stück Papier.

(Rolf Dieter Brinkmann)

Ein augenscheinlich dubioser Laden, dieses Internet- und Game-Café. Meistens waren die Rolladen heruntergezogen, nur sehr selten ließen sie einen Blick auf die dahinter befindlichen schmutzigen Gardinen sowie die gummibaumartige Botanik zu.

Jahrelang ging sie daran vorbei, manchmal wunderte sie sich, wie diese ungastliche Stätte überleben könne. Nie spielte sie mit dem Gedanken, einen Fuß über die Schwelle zu setzen. – Bis plötzlich diese unscheinbares Mädchen vor ihr stand und sie darum bat, einen Zettel mit einer Nummer darauf, vermutlich die Telefonnummer des Mädchens, an einen jungen Mann zu übergeben, der sich in dem sogeannten Café befand. Sie, die jahrelang an dem Café mit den heruntergezogenen Rolladen und den dahinter befindlichen schmutzigen Gardinen vorbeiging, zögerte. – Schließlich kam sie aber doch der beharrlichen Bitte des Mädchens nach.

Warum das alles? Das bleibt ungewiss.

Buchmesse

Einmal noch und dann kein Wort mehr über Bücher. Vorerst. Alles, was zwischen zwei Buchdeckel passt, findet sich auf dem Frankfurter Messegelände: Verlage, Agenten, Großhändler, Kleinhändler – alles dreht sich um das Geschäft. Samstag ist die Messe für das Publikum geöffnet, das aber eher stört, weil es die engen Gänge zwischen den Ständen verstopft, nach Werbekugelschreibern verlangt und am Ende der Rolltreppen grundsätzlich stehenbleibt.

Am Stand unseres Verlages steht eine prall gefüllte Großverpackung zur Verkaufsförderung mit unserem Buch. Noch nie habe ich gesehen, wie jemand darauf reagiert und schleiche ein wenig herum, um zu spüren, wie es sich anfühlt, wenn ein fremder Mensch das eigene Buch in der Hand hält, um in einem Interview später einmal die stets danach gestellte Frage korrekt beantworten zu können. Kurze Zeit später kommt ein älterer Herr, greift nach dem Buch, blättert darin, schüttelt seinen Kopf und legt es wieder zurück. So ist das also, wenn jemand das eigene Buch in der Hand hält, denke ich und hoffe, dass ich in einem Interview nie danach gefragt werde.

Dann lesen wir ein bißchen vor und sind froh, dass so viele Menschen gekommen sind, um uns zuzuhören, obwohl wir weder Nobelpreisträger noch Busenwunder sind oder in einem skandalumwitterten Sachbuch den Untergang des Abendlandes proklamiert haben. Wir belohnen uns mit einem miesen Messeschnitzel für 20 Euro und geben dem Literaturcafé ein Interview, in dem wir nicht danach gefragt werden, wie es sich anfühlt, wenn man jemanden betrachtet, der in dem eigenen Buch liest.

Wer sich für Bücher interessiert, sollte besser in die Buchhandlung seines Vertrauens gehen, und zwischen all den überdimensionierten Werbetragetaschen mit Verlagsborschüren, die schon morgen im Altpapier landen werden, entdecke ich im Augenwinkel doch noch eine interessante Neuerscheinung: „Vorstellung meiner Hände“, Gedichte aus dem Frühwerk Rolf Dieter Brinkmanns.

Noch einmal zurückgekehrt an den Stand unseres Verlages, bemerke ich, dass das Buch gut läuft: Nur noch ein Exemplar ist vorhanden, obwohl kein Verkauf stattfindet. Schwund. Auf Buchmessen soll die Diebstahlquote ein Indikator für den Erfolg eines Titels sein, sagen Branchenkenner.

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Nachtrag: Hier kann man unser Interview mit dem Literaturcafé auch anhören:

[podcast]http://literaturcafe.podspot.de/files/buchmesse_2010_twitterlesung.mp3[/podcast]

Hier klicken zum Herunterladen (13 Min. – 6 MB).

Brinkmanns Zorn

Filmplakat zu

Heute fand im Hamburger Programmkino Metropolis die Premiere des bemerkenswerten Films Brinkmanns Zorn statt. Als Gäste des Abends waren neben dem Regisseur Harald Bergmann auch der Hauptdarsteller Eckhard Rhode zugegen, die im Anschluss an die Vorführung Rede und Antwort standen.

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