Die Insignien der Macht

Ein Tag im Mai: Bäumchen wechsle dich. Auf den Fluren des Ministeriums herrscht geschäftiges Treiben, Namensschilder an den Bürotüren der oberen Etagen werden ausgetauscht. Wieder einmal erhält ein neuer Minister zur Begrüßung einen Blumenstrauß. Fotografen der großen Agenturen halten den Amtsantritt möglichst vorteilhaft im Bilde fest, danach geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Der Apparat funktioniert.

Die wahren Insignien der Macht sind preiswert – sie kosten nur ein paar Cent das Stück. Auf dem Schreibtisch des neuen Ministers liegt ein Dutzend billiger grüner Kugelschreiber bereit. Der Herr des Hauses verleiht seinen Anmerkungen in umlaufenden Akten mit dieser Farbe besonderes Gewicht.

Ich besitze übrigens auch einen grünen Kugelschreiber. Nicht, dass mein geschriebenes Wort in einer kafkaesken Bürokratie etwas gälte;  vielmehr ist er ein Andenken an einen angenehmen Abend: Mit diesem Stift hat nämlich einst Max Goldt ein Buch signiert (und auch umgekehrt habe ich – genau so betrunken wie er, aber etwas übermütiger – mit diesem Max Goldt ein Buch signiert.) In besonders schweren Fällen von Schreibblockade erhoffe ich mir, dass ein Fünkchen Inspiration des Meisters durch die Weihung des Kugelschreibers auf mich überspringen möge. Bislang blieb mein Warten jedoch vergebens.

Sprechen – Schreiben – Schweigen

Kurz vor seinem Tod nimmt Kurt Tucholsky einen letzten Eintrag in sein „Sudelbuch“ vor, die bekannte Treppe: „Sprechen – Schreiben – Schweigen“. Es ist das bedrückende Dokument eines „aufgehörten Dichters“, wie er sich selbst bezeichnete. „Dass ich mein Leben zerhauen habe, weiß ich. Dass ich aber nicht allein daran Schuld bin, weiß ich auch. Mich haben sie falsch geboren“, schreibt Tucholsky am 19. Dezember 1935 in einem Brief an seine letzte Geliebte Hedwig Müller. Zwei Tage später stirbt er an einer Überdosis aus Schlaftabletten und Alkohol in einem Göteborger Krankenhaus; ob es Absicht war oder ein Unfall kann nie endgültig geklärt werden. Bereits 1923 hat er unter dem Pseudonym Ignatz Wrobel in seiner Satire „Requiem“ folgenden Grabspruch für sich erdacht: „HIER RUHT EIN GOLDENES HERZ UND EINE EISERNE SCHNAUZE. GUTE NACHT –!“. Seinen Grabstein, nahe Schloß Gripsholm ziert jedoch ein anderer. Tucholsky hinterlässt ein Werk von mehr als 2.500 Texten.

Am 9. Januar 1890, heute vor 121 Jahren, erblickte der Journalist und Schriftsteller mit den 5 PS das Licht der Welt.

In den letzten Wochen habe ich gelegentlich über Tucholskys Treppe nachgedacht. Sicher war sie bedingt durch die Lebensumstände seiner letzten Jahre auch ein Zeichen der Resignation. Aber was vermag Sprache wirklich? Nicht selten bin ich in den letzten Monaten an die Grenze meiner Ausdrucksfähigkeit gestoßen; allzu oft fehlen mir die richtigen Worte, um Gedanken und Gefühle wirklich auf den Punkt zu bringen. Es ist ein ewiges Ringen um Genauigkeit.

Allzu oft war ich geneigt, die Treppe umzudrehen: Schweigen – Sprechen – Schreiben. Das schafft Luft zum Nachdenken und ich hoffte, mich dadurch besser ausdrücken zu können. Ein Irrtum. „Schreiben statt Reden“ hat vieles in meinem Leben nicht einfacher gemacht. Ganz im Gegenteil: Missverständnisse, die im persönlichen Gespräch wohl sofort hätten ausgeräumt werden können, wurden durch die Schriftform manifestiert.

Konfrontiert mit der Unzulänglichkeit der eigenen Worte wächst in mir die Erkenntnis, dass Sprache auch immer Scheitern bedeutet. Insofern wäre das Schweigen in der Tat eine mögliche Konsequenz. (Im Übrigen hadere ich gerade damit, ob oder in welcher Form ich dieses Weblog weiterführen werde.)

Moleskine Hoffnungen

Moleskine
Foto: thehutch

Vor einem leeren Blatt Papier zu sitzen, ist das Schlimmste, dachte sich der Kaffeehausliterat einmal mehr. Sodann kritzelte er einige flüchtige Sätze in sein schwarzes Notizbuch, um wenigstens auf seine Umgebung nicht untätig zu wirken.

Er bestellte einen weiteren Espresso und hoffte insgeheim auf eine Wirkung seines in Maulwurfshaut eingebundenen Notizbuchs. Schließlich haben große Künstler „von Van Gogh bis Picasso und Ernest Hemingway bis Bruce Chatwin“ ein ebensolches verwendet, wie der Beipackzettel beudeutungsvoll verkündet. Warum sollte sich nicht auch ein winziger Hauch des Geistes dieser berühmten Vorbilder auf meine bescheidenen Zeilen übertragen, sinnierte der Schriftsteller, während er mit ausladender Geste reichlich Zucker in seinen Espresso schüttete. Doch bereits beim ersten Schluck ereilte ihn der bestürzende Gedanke, der geschickten Vermarktung eines Schreibwarenhändlers aufgesessen zu sein. Kein noch so legendäres Schreibzeug vermochte seine Kreativität zu beflügeln. Womöglich vollbrachte nicht einmal Goethes Federkiel dieses Wunder, geschweige denn ein überteuertes Lerderimitat aus einer chinesischen Notizbuchmanufaktur.

Seine moleskinen Hoffnungen zerplatzen jäh. Er beschloss, fortan nur noch Absinth zu trinken und sich das rechte Ohr abzuschneiden.

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Weiterführende Links:

Nachtrag 8. März 2008: Endlich ist auch der lesenswerte Artikel „Das ungeschriebene Buch“ aus der brand eins Nr. 2/2008 im Netz verfügbar. Vielen Dank an Uli für den Hinweis.

Haben Sie schonmal einen Roman geschrieben?

Bücher (Foto von dustpuppy)Haben Sie schonmal einen Roman geschrieben? So ein richtiges Werk epische Prosa? Ich meine jetzt keinen kleineren Beitrag für eine Anthologie oder einen Band zusammenhangsloser Kurzgeschichten oder gar einen Lyrikband voller Gedichte, die sich nicht reimen wollen und sollen, weil es gerade wieder einmal modern ist, Gedichte zu dichten, die sich auf gar keinen Fall reimen dürfen. Gedichte zu schreiben, die sich nicht reimen, das kann heutzutage wirklich jeder, weshalb es auch fast jeder tut. Aber so einen großen Entwicklungsroman zu verfassen, das ist wirklich ein ganz anderes Kaliber, das ist die Königsdisziplin. Ich schreibe übrigens gerade an meinem ersten Roman, das ist gar nicht so einfach, kann ich Ihnen sagen. Selbst für mich nicht. Man muss schon sehr diszipliniert sein, sich immer und immer wieder zu geistigen Höchstleistungen anzutreiben, und Momente der Muße zu finden, um der Kreativität freien Lauf zu lassen. Nur so kann ein Meisterwerk aufs Herrlichste gedeihen.