re:publica. Eine Konferenz.

Thomas Bernhard

Drei Tage Berlin: Podiumsgespräche, Gezwitscher und Begegnungen – in dieser Reihenfolge. Obwohl die re:publica ganze drei Tage in den Terminkalendern der teilnehmenden Netzbewohner in Anspruch nahm, war die Zeit knapp bemessen. Oft blieb nur wenig Raum für Diskussionen, aber vielleicht war dieser auch gar nicht erforderlich. Die immer selben Diskussionsteilnehmer treffen auf die immer selben Fragesteller zu den immer selben Themen. Selbstredend findet auch dies vor den immer selben Zuschauern statt; das kann den Diskussionsbedarf schon einschränken, trübt aber meine Freude an dieser wunderbaren Konferenz nicht im geringsten. Da alle Panels ausführlich in Bild und Ton dokumentiert wurden, habe ich die Gelegenheit genutzt, um den einen oder anderen (und die und den und die und den und den und den und alle, die ich vergessen habe zu erwähnen) Insnetzschreiber zu treffen – und diese erfreulichen Erfahrungen nehme ich von der re:publica’08 mit nach Hause. Den vor Ort aufgezeichneten Podcast indes übergebe ich hiermit der an ihm interessierten Minderheit.

Wieder daheim angekommen, nutze ich die erste Gelegenheit, mich zur Regeneration den alten Medien zuzuwenden und suche ein Antiquariat auf. Zum ersten Mal in meinem Dasein als Konsument mache ich die Erfahrung, dass man Verkäufer unglücklich machen kann, indem man eine von ihnen feilgebotene Ware erwirbt. In diesem Fall handelt es sich um drei sehr preiswert erstandene Erstausgaben Thomas Bernhards, welche der Mann an der Kasse, wie er mir mit einer kleinen Träne im Auge erzählt, auch gern selbst erworben hätte, so er sie denn rechtzeitig entdeckt hätte. Des einen Freud, des anderen Leid, denke ich, während ich mich ob des Schnäppchens beschwingt von dem Verkäufer verabschiede, welcher mir wiederum etwas gequält einen schönen Tag wünscht.

Die Kernfusion im Wasserglas


Foto: niallkennedy

Ich hätte auch gern etwas Kleines. Nein, nicht was Sie jetzt wieder denken mögen. Ich will nichts, was schreit und in die Hose macht. Mir schwebt eher etwas vor, das silbern schimmert und lieblich klingelt. Kürzlich präsentierte mir ein gadgetverliebter Freund voller Stolz sein neues Mobiltelefon – natürlich ein iPhone. Mit leuchtenden Augen und einer übertriebenen Bedeutung in der Stimme erklärte er mir, dass man damit nicht nur telefonieren, unterwegs im Internet surfen oder Musik hören könne. „Dieses edle Designwerkzeug bringt einen wahren Mobilitätsschub. Es vermittelt dir ein völlig neues Lebensgefühl“, sagte er voller Stolz und wirkte dabei etwas wie einer dieser synchronisierten Laienverkäuferdarsteller auf dem TV-Sender QVC. Meinen lakonischen Versuch, seine flammende Anpreisung zu stoppen, indem ich anmerkte, dass es vermutlich nichts auf der Welt gäbe, was dieses Telefon nicht könne – von der Zubereitung eines Gurkensandwiches bis hin zur Kernfusion im Wasserglas -, überhörte er geflissentlich. „Es kann nicht nur fast alles, es sieht dabei auch noch verdammt gut aus“, fuhr er seine Verkaufsschau unaufhaltbar fort. Auch Tom-Tom, der zweijährige Sohn meines Freundes, welcher seinen Doppelnamen einem wegweisenden Elektrogerät verdankt, bemerkte schnell, dass dieses plötzlich aufgetauchte silberne Gerät die Welt veränderte. Nun stand nicht mehr er im Mittelpunkt des Geschehens, sondern dieses neue Telefon.

Das musst Du unbedingt haben, dieses Telefon, dachte ich damals noch, als vor ungefähr einem Jahr ein unrasierter grauhaariger Mann in einem schwarzen Rollkragenpullover das Gerät erstmals einer staunenden Öffentlichkeit präsentierte. Seitdem träumte ich jeden Tag von dem geschmeidigen Utensil mit der berührungsempfindlichen Bedienoberfläche.

Warenwelten #4: Tauben, Fischmarkt und Verbrecher

Zufällig führte mich mein gestriger Weg direktemang über den Fischmarkt. Ich war schon seit vielen Jahren nicht mehr dort; ist dieser Ort doch zu einer Touristenfalle verkommen, die gleich einem schwarzen Loch riesige Mengen an auswärtigen Hamburgbesuchern in sich aufsaugt, und ein paar Stunden später nichts weiter zurücklässt als bergeweise Unrat (ob ein schwarzes Loch neben Gravitationskräften auch die Fähigkeit hat, Touristen in Unrat zu transformieren, vermag ich aus physikalischer Sicht nicht zu beurteilen). Das Wassergetier, dem dieser Markt seinen Namen verdankt, wurde im Laufe der Zeit immer mehr zur Nebensache. Mittlerweile finden sich hier mehr Händler, die versuchen, stumpfe Rasierklingen, leere Batterien, kurzfristig gammelndes Obst und Gemüse sowie neuartige Autopolituren, die nicht nur den Schmutz, sondern sehr zuverlässig auch gleich den Lack des Fahrzeuges mitentfernen, an die von ihrem Reeperbahnbummel übernächtigten Hansestadtbesucher zu bringen. Nur wer ganz genau hinhört, kann irgendwo im Getümmel das vom jahrzehntelangen Marktschreien schon ganz heiser gewordene Rufen von Aale-Dieter hören, der als einer der letzten seiner Zunft noch mit Nachdruck fangfrischen Fisch anpreist.

Plötzlich musste ich stocken, als ich im Winkel meiner noch im Halbschlaf befindlichen Augen einen mir bis dahin unbekannten Marktstand entdeckte. Hier wurde lebendes Geflügel in winzigen Käfigen feilgeboten. Steckte man glückliche Legebatterienhennen in diese nur schuhkartongroßen Käfige, bekämen sie Platzangst. Steckte man andersherum das hier eingesperrte Federtier in eine konventionelle EU-genormte Legebatterie, so fühlte es sich sicher wie ein einsamer Kuhjunge in den endlosen, hügeligen Weiten der Kinowerbung und würde sofort nach Lasso, Pferd und Zigaretten verlangen. Alles, was zwei Beine und Federn hat, wurde an diesem tierfeindlichen Marktstand angeboten – so auch Tauben.

Warenwelten #3: Leergutautomat. Eine Erzürnung.

Meine Großeltern väterlicherseits hatten beim Aufsuchen dieser Supermarktkette immer die größte Freude. Woche um Woche studierten sie genau das der örtlichen Zeitung beiliegende Prospektmaterial. Gab es bei dem von ihnen immerzu als „Konsum“ bezeichneten Discounter wieder einmal Blumenkohl im Sonderangebot, selbstredend riesige Köpfe für nur eine Mark, so schreckten sie nicht davor zurück, mit dem Automobil einen Weg durch die gesamte Stadt zurückzulegen, um das Gemüse zu dem wahrlich günstigen Preise zu erwerben. Benzin war schließlich damals billig und Klimaschutz noch gar nicht erfunden.

Auch heute noch suche ich regelmäßig einen Markt dieser Kette auf, allerdings muss ich dafür nicht die Stadt durchqueren, sondern lediglich die Straßenseite wechseln. Eine Begeisterung für den „Konsum“, wie ihn meine Großeltern in Anbetracht des erschwinglichen Gemüses an den Tag legten, will sich bei mir jedoch nicht entfalten, obwohl dort heute sogar niedrigpreisiges Biogemüse feilgeboten wird.

Meine Konsumbesuche machen mich, im Gegensatz zu meinen Großeltern, denen das Aufsuchen dieses Einzelhändlers stets die größte Freude bereitete, häufig sogar zornig. Dies ist besonders dann der Fall, wenn es gilt, das Leergut an dem dafür vorgesehenen Automaten zurückzugeben. Die Rückgabe von bepfandeten Einwegflaschen gipfelt jedes Mal in einem Kampf zwischen Mensch und Maschine.