„Die Welt dreht sich weiter für dich und für mich.
Nur, wo heute Nacht und Schatten sind,
war gestern noch Licht.“
(Rio Reiser, Stiller Raum)
Ein S-Bahnhof im Nordwesten Berlins. An einem Sonntag im Januar stehe ich hier und warte: Es ist sehr kalt, aber ich friere nicht. Wie so oft in diesen Tagen kommt es „witterungsbedingt“ zu Zugausfällen. Gleich werden wir zum ersten Mal gemeinsam einen Tatort schauen. Die Bahn kommt nicht und ich nehme ein Taxi. Ihr werde ich sagen, dass ich die Leiche nicht verpassen wollte, aber vor allem wollte ich schnell zu ihr. Nach dem Tatort gehe ich nach Hause. Irgendwann muss man schließlich schlafen.
Es folgen: viele Tatorte, großes Glück und Fehler, die ich nicht wieder gutmachen kann.
An einem Sonntag im Dezember stehe ich wieder am selben Bahnhof und warte: In den Ohren ein Lied, dessen Text man in stärkeren Stunden leicht als Kitsch abtun könnte, doch das wird ihm nicht gerecht. Kein anderes vermag es, diesen Moment besser einzufangen als Rio Reisers„Stiller Raum“. So einfach, so schön, so traurig. Mein Zug kommt nicht. Es ist kalt, ich friere.
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Sportforum Hohenschönhausen, Bezirk Lichtenberg. Das Gelände ist 55 Hektar groß; wenn man hier an einem Wochenendtag spazieren geht, bekommt man einen Eindruck davon, was Tristesse bedeutet. An diesem Ort denkt man zwangsläufig weniger an feierlichen Eröffnungsveranstaltungen der Olympischen Spiele, sondern eher an die Verabreichung von illegalen Substanzen zur Leistungssteigerung.
Dieses verdammte Mitte. Alles ist irgendwie ironisch und zeitlich befristet: Galerien, Bars, Beziehungen. Im Anschluss an die Weihnachtsfeier ist man sich einig, einen dieser neuen angesagten Orte aufzusuchen. Die Bar, deren Namen natürlich nicht an der Tür steht, befindet sich nur wenige hundert Meter von uns entfernt. Die Damen tragen zu hohe Schuhe und drängen deshalb darauf, ein Taxi zu nehmen. Die Herren gehen den kurzen Weg durch Eis und Schnee zu Fuß und erreichten das Ziel zuerst: Trust. Draußen: Warteschlange und Türsteher. Drinnen: Überfüllung und Wodka aus Flaschen, kein Bier, niemals.
Den Damen gefällt es hier trotzdem, wir ziehen ohne sie weiter, was sich rächen soll: In die Neue Odessa Bar will man uns nicht hineinlassen, weil wir Penisse haben. Wir arrangieren uns mit unserem unpassenden Chromosomensatz, verfluchen aber diese Bar und ziehen erneut weiter, wieder durch Schnee und Kälte und mit der Hoffnung, dass unser Unterwegsbier nicht in der Flasche gefriert.
Torstraße/Ecke Ackerstraße: Muschi Obermaier. Über dem Eingang die Worte „Trost und Zuspruch – zwei Mark“ und weil ich das gerade nötig habe, hoffe ich zum ersten Mal ganz still auf eine Abkehr vom Euro. Der Türsteher winkt mich, noch immer mein halbes Unterwegsbier in der Hand haltend, mit größtmöglicher Gelassenheit und den Worten „na wegen einem mitgebrachten Bier wollen wir hier mal nicht rumflennen“ durch. Der Plattenaufleger spielt bevorzugt Musik der 80er Jahre: Talk Talk, U2 und Simply Red. Die 80er waren musikalisch schlimm, denke ich. Die 70er, 90er und 0er ebenfalls. Und auch sonst. Wir stehen herum, trinken gutes bayerisches Bier aus etwas ungelenk geformten Halbliterflaschen; ab und zu auch einen Schnaps. Ich bitte meine Begleitung um Sambuca, bekomme aber ein Gläschen ohne Kaffeebohnen. Sambuca ohne Kaffeebohnen ist meistens Wodka, und so war es dann auch. Wir sprechen über Städte: Hamburg, Berlin und die Provinz. „Der Ort ist nicht das Ding, das du verlässt. Der Scheiß ist in dir“, sagt einer und wir prosten einander zu. Ein Blick in die Runde verrät mir, dass hier ein Vollbart längst nicht mehr reicht. Ich brauche dringend einen Hut. Den Weg nach Hause lege ich taumelnd zurück. Ach, Mitte.
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