transmediale im Haus der Kulturen der Welt, Eröffnungsveranstaltung: Ein Kurzfilm wird gezeigt. Zuerst eine dunkle Leinwand, aus den Lautsprechern ertönt Gewummer. Dann Flimmern und Staub. Ein Insekt taumelt mehr als es fliegt. Regen, ein alter Mann schwebt horizontal durch das Bild. Wieder Staub, Kaulquappen, noch mehr Regen. Verstörung. Der Film scheint länger und länger zu werden, das Gewummer wird stärker und ich denke an des Kaisers neue Kleider. Das Ende.
I feel like a blind man with a color TV,
Everything’s fine but I just can’t see.
Too much of a strain to eat three meals a day,
Wherever I’m going I’m loosing my way.
I’m so tired.
I’m almost dead.
Vor zwanzig Jahren unter einem Hochbett gesessen: Wir hörten die Beatles, das weiße Album – von Schallplatte. Ich besaß damals bereits einen CD-Player und hielt ihn für überlegen: digitale Technik, perfekte Reproduzierbarkeit, keine Abnutzungserscheinungen.
Ein Irrglaube, denn während sich die ersten Silberlinge vielleicht bald ganz von allein in Luft auflösen, wird Vinyl von Bestand sein.
Manchmal sehne ich mich danach, einen Tonarm behutsam aufzusetzen, eine Platte umzudrehen, nach dem Knistern, der Wärme des Tons und in einer großformatigen Plattenhülle zu blättern. Alles Nostalgie oder Psychoakustik? Mag sein. Aber möglicherweise gibt es Zwischentöne, die sich in Nullen und Einsen nicht ausdrücken lassen.
Kurz vor seinem Tod nimmt Kurt Tucholsky einen letzten Eintrag in sein „Sudelbuch“ vor, die bekannte Treppe: „Sprechen – Schreiben – Schweigen“. Es ist das bedrückende Dokument eines „aufgehörten Dichters“, wie er sich selbst bezeichnete. „Dass ich mein Leben zerhauen habe, weiß ich. Dass ich aber nicht allein daran Schuld bin, weiß ich auch. Mich haben sie falsch geboren“, schreibt Tucholsky am 19. Dezember 1935 in einem Brief an seine letzte Geliebte Hedwig Müller. Zwei Tage später stirbt er an einer Überdosis aus Schlaftabletten und Alkohol in einem Göteborger Krankenhaus; ob es Absicht war oder ein Unfall kann nie endgültig geklärt werden. Bereits 1923 hat er unter dem Pseudonym Ignatz Wrobel in seiner Satire „Requiem“ folgenden Grabspruch für sich erdacht: „HIER RUHT EIN GOLDENES HERZ UND EINE EISERNE SCHNAUZE. GUTE NACHT –!“. Seinen Grabstein, nahe Schloß Gripsholm ziert jedoch ein anderer. Tucholsky hinterlässt ein Werk von mehr als 2.500 Texten.
Am 9. Januar 1890, heute vor 121 Jahren, erblickte der Journalist und Schriftsteller mit den 5 PS das Licht der Welt.
In den letzten Wochen habe ich gelegentlich über Tucholskys Treppe nachgedacht. Sicher war sie bedingt durch die Lebensumstände seiner letzten Jahre auch ein Zeichen der Resignation. Aber was vermag Sprache wirklich? Nicht selten bin ich in den letzten Monaten an die Grenze meiner Ausdrucksfähigkeit gestoßen; allzu oft fehlen mir die richtigen Worte, um Gedanken und Gefühle wirklich auf den Punkt zu bringen. Es ist ein ewiges Ringen um Genauigkeit.
Allzu oft war ich geneigt, die Treppe umzudrehen: Schweigen – Sprechen – Schreiben. Das schafft Luft zum Nachdenken und ich hoffte, mich dadurch besser ausdrücken zu können. Ein Irrtum. „Schreiben statt Reden“ hat vieles in meinem Leben nicht einfacher gemacht. Ganz im Gegenteil: Missverständnisse, die im persönlichen Gespräch wohl sofort hätten ausgeräumt werden können, wurden durch die Schriftform manifestiert.
Konfrontiert mit der Unzulänglichkeit der eigenen Worte wächst in mir die Erkenntnis, dass Sprache auch immer Scheitern bedeutet. Insofern wäre das Schweigen in der Tat eine mögliche Konsequenz. (Im Übrigen hadere ich gerade damit, ob oder in welcher Form ich dieses Weblog weiterführen werde.)
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