Kunst und Negerkussbrötchen

Die Kunst ist das Höchste und
das Widerwärtigste gleichzeitig.

(Thomas BernhardAlte Meister)

Es ist keine richtige Verabredung. Sie sagt ihm, dass sie da sein werde, und er geht zur genannten Zeit in die kleine Galerie im Lichthof des Universitätsgebäudes. Sie, die Kunsthistorikerin, führt durch die Ausstellung und zieht an diesem Abend den Säbel dem Florett vor. Er, der Trottel, erkennt weder die Duchamp-Referenz noch hat er Walter Benjamin gelesen. Dafür verfügt er, so sagt sie, über ein provinzielles und längst überholtes Kunstverständnis. Zum Abschied diskutiert man auf einer Straßenkreuzung, was eigentlich Kunst ist – eine Fragestellung, die sie überhaupt nicht interessiert. Dann geht man getrennte Wege.

Am folgenden Tag gibt es im Büro Negerkussbrötchen. Er erinnert sich an seine Kindheit in der Provinz und wie er damals auf dem Weg zur Schule heimlich mit Mohrenköpfen belegte Rundstücke erwarb. Die Bäckereifachverkäuferin wusste darum, dass diese Art des Pausenbrotes bei Eltern und Lehrern gleichermaßen ernährungsphysiologisch verpönt war. Aus diesem Grunde zwinkerte ihm die Bäckersfrau stets konspirativ zu. Die in der früheren DDR sozialisierten Kollegen kennen keine Negerkussbrötchen und wundern sich über diese eigentümliche Konstellation. Ihn wiederum wundert, dass es über zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch kleine Entdeckungen gibt, die daran erinnern, dass das Land vormals geteilt war.

Ob die Kunsthistorikerin sich für Negerkussbrötchen interessiert, weiß er nicht. Wohl aber, dass sie immerzu Salat isst.

Müdigkeit

Wie der Schlaflose daliegt bis hinein ins Fahllicht des
Morgengrauens, das ihm die Verdammnis bedeutet, über ihn
allein da in seiner Schlaflosigkeitshölle hinaus des ganzen
fehlgeratenen, auf den falschen Planeten verschlagenen
Menschenwesen … Auch ich war in der Welt der Schlaflosen
(und bin es, immer wieder, noch jetzt.)

(Peter Handke, Versuch über die Müdigkeit)

Nach einer fast schlaflosen Nacht von Singvögeln geweckt werden und sich fragen, wie es wäre, diese von den Bäumen zu holen. Wer sagt einem denn, dass vier Stunden der Nachtruhe nicht vollkommen ausreichen? Dann ein Glas Milch trinken und auf die von der Agrarwirtschaft versprochene muntermachende Wirkung hoffen, die der weiße Saft der Kuh jedoch niemals zu spenden vermag. Trotz allem relativ beschwingt in den Tag starten, aber schon bald von der Müdigkeit unerbittlich eingeholt werden.

Sonntag

Everyday is like sunday.
Everyday is silent and grey.

(Morrissey)

Man kann Wohnungen verlassen. An Wochenenden. Aber man muss nicht. Wenn es sonntags regnet, ist es nicht so schlimm. Der unterschwellige Zwang, vor die Tür gehen zu müssen, nur weil diese Sonne versehentlich einmal scheint, ist indes viel schwerer zu ertragen. Man geht dann eine Runde um dem Block und sogleich ärgert man sich über sich selbst, weil man ja bereits vorher wusste, nichts zu verpassen, wenn man nur liegen geblieben wäre.

Dann irgendwas lesen, irgendwas hören, irgendwas denken, irgendwas trinken. Lauter unnützes Zeug. Am Abend nicht einschlafen können und am nächsten morgen nicht aufstehen wollen.

Schwalbe

Das Sammelalbum aus dem letzten Jahr nicht voll bekommen und trotzdem schon wieder eine Fußball-WM im Lande. Die Stimmung ist eine ganz andere als damals. Wer nicht aufmerksam genug ist, bemerkt gar nicht, dass ein Turnier stattfindet: Keine Deutschland-Flaggen an Autotüren, keine Vuvuzelas.

Und ehe man sich versieht, sind die Schwalben weitergezogen.