Thomas Demand — Nationalgalerie

Der Katalog zur Ausstellung
Der Katalog zur Ausstellung

Potsdamer Straße 50, Berlin. Es regnet. Neue Nationalgalerie, erbaut nach den Plänen von Ludwig Mies van der Rohe. Strenge Architektur: Stahl und Glas. In der oberen Etage Fotografien von Thomas Demand.

Etwa vierzig überwiegend großformatige Arbeiten. Keine normalen Fotografien, sondern Abbildungen von Modellen im Maßstab 1 zu 1. Nachgebaut aus Pappe, zusammengehalten von UHU Alleskleber, fotografiert, danach unwiderbringlich zerstört. Der Titel der Ausstellung: Nationalgalerie — genau wie das Gebäude. Alles Größenwahn? Irgendwie schon. Alles großartig? Ganz bestimmt.

Die Motive: Stationen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Kulisse von Robert Lembkes Rateschaustutio, Uwe Barschels Badewanne, die gestürmte Stasi-Zentrale u. a. Jedem Bild vorangestellt: Ein Text von Botho Strauß. Diese manchmal irreführend, allesamt lesens- und nachdenkenswert.

Die Atmosphäre: kühl. Die Museumsaufsicht: streng und unfreundlich; möglicherweise rekrutiert aus den Reihen ehemaliger Mauerschützen. Der Katalog: 35,— Euro, kaufen. Ausstellung bis zum 17. Januar 2010: unbedingt hingehen.

Casino

Es ist nicht schön allein zu sein,
Zum Beispiel hier im Altersheim.
Zum Beispiel hier am Imbißstand,
Ein leeres Bier in deiner Hand.

Zum Beispiel in der Diskothek,
In die man einfach nicht mehr geht.
Zum Beispiel hier im Spiel-o-mat,
Vor einem Geldspielapparat.

Morgen wird wie heute sein.

(Tocotronic)

„Lassen Sie sich verzaubern!“, sprang es der alten Dame mit dem Krückstock in großen Buchstaben entgegen. Seit über zwanzig Jahren geht sie nun täglich an der Automatenspielhalle vorbei, aber noch nie hatte sie einen Fuß hineingesetzt. Das sollte sich heute ändern. Der zigarrerauchende einäugige Mann, dem die Aufsicht über die Spielhalle oblag, beachtete die alte Dame kaum. Ihr war das einerlei.

Heute lasse ich mich verzaubern, dachte sie sich und versenkte dabei ein paar Silbermünzen in einem einarmigen Banditen. Der Zauber wollte sich jedoch nicht recht einstellen. Eigentlich war alles genau wie vorher — abgesehen davon, dass ein bißchen Kleingeld den Besitzer wechselte. Es hätte ja auch funktionieren können, dachte sie sich noch. Fortan ging sie aber wieder wie gewohnt an der Automatenspielhalle vorbei, ohne jemals wieder einen Gedanken an Zauberei zu verschwenden. Morgen wird wie heute sein.

Stuhl

Stuhl
Stuhl

„Guten Tag, bitte nehmen Sie Platz.“
Der Mann zögerte und schaute sich einen Moment um. War es wirklich der alte Stuhl, der da gerade mit ihm sprach?
„Zögern Sie nicht“, sagte der alte Stuhl jetzt etwas bestimmter.
Der Mann nahm auf dem schon recht heruntergekommenem Stuhl, welcher sich in einem Hauseingang an einer belebten Hauptstraße mitten in Berlin-Neukölln befand, Platz. Natürlich war ihm nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihm nun alle vorüberziehenden Passanten dabei beobachten könnten, wie er sich mit einem alten Stuhl unterhielt. Viele Menschen gingen vorbei, aber niemand interessierte sich für ihn und den alten Stuhl und schon gar nicht für ihr Gespräch. Womöglich war es an diesem Ort das Normalste auf der Welt, sich mit einem alten Stuhl zu unterhalten.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte ihn der Stuhl.
„Was sollen Sie schon für mich tun können? Sie sind doch nichts weiter als ein alter Stuhl, ein Stück Sperrmüll, auf dem ich jetzt sitze — und mit dem ich mich unterhalte.“
„Sie sollten mich nicht unterschätzen“, erwiderte der Stuhl. „Ich haben schon vielen Menschen sehr geholfen und bin in diesem Kiez so etwas wie eine Institution. Sie haben genau einen Wunsch frei.“
Der Mann schüttelte den Kopf und wünschte sich, um den alten Stuhl auf die Probe zu stellen, ein Bier. Er schloss kurz seine Augen — und als er sie wieder öffnete, hielt er ein lauwarmes Sternburg in seinen Händen. Er hatte den Stuhl tatsächlich unterschätzt, denn er hätte auch ein kühles Flensburger Pilsener haben können — oder sechs Richtige im Lotto oder einen feuerroten Sportwagen oder seine Traumfrau. Nie wieder, sagte sich der Mann, werde er alte Stühle unterschätzen, und nippte an seinem lauwarmen Sterni, das ihm angesichts der leichtfertig vergebenen Chance noch weniger schmeckte als ein erwärmtes Bier dieser Billigmarke ohnehin schon schmeckt.
Als der Mann das nächste Mal an dem Hauseingang, in dem zuvor der alte Stuhl stand, vorbeikam, war dieser verwaist.

Flaschen

Staropramen — Bier
Staropramen — Bier